"Reiner Populismus"

Offener Brief zum Bericht "Strom wird teurer", neumarktonline vom 7.12.06

Sehr geehrter Herr Deß,

über die Neumarkter Presseorgane haben wir Ihre Pressemitteilung vom 7. Dezember zum Thema "Strom wird teurer" zur Kenntnis genommen. Wir reagieren auf diese Pressemitteilung mit diesem offenen Brief, weil wir sie für falsch und verfehlt erachten. Wir weisen darauf hin, dass diese Stellungnahme mit heutigen Datum auch den lokalen Medien zur Verfügung gestellt wird.

In unseren Augen handelt es sich bei Ihrer Mitteilung um reinen Populismus auf der Grundlage politischer Thesen, die für den energiepolitischen Laien ein Szenario entwerfen, das weder richtig, noch angemessen ist.

Zur Sache: Sie entwerfen die These, dass beim Ausstieg aus der Ihres Erachtens sicheren Atomenergie zusätzlicher Kohlenstoffdioxid-Ausstoß, höhere Strompreise und in der Folge Schwächung des Wirtschaftsstandorts auf Deutschland zukomme. Wir stellen uns entschieden gegen diese These, weil es sich weniger um logische Folgerungen, als vielmehr um politische Behauptungen handelt, die Atomenergie als sinnvolle Alternative erscheinen lassen. Mag sein, dass die deutschen Kernkraftwerke aufgrund ihrer Bauart sicherer sind als andere. Aber ist Ihnen das wirklich ausreichend? Hielt man die Sicherheit nicht auch für völlig ausreichend, bevor Tschernobyl geschehen ist und Tausenden von Menschen Leid und Tod brachte? Können Sie die Sicherheit geben, dass in deutschen Kernkraftwerken nicht auch ein Supergau geschehen könnte? Nein, Sie können es nicht. Geben Sie bitte auch ehrlich zu, dass in Deutschland kein Betreiber von Kernkraftwerken versichern kann, dass Kernkraftwerke vor terroristischen Anschlägen sicher sind! Bekennen Sie auch, dass weder Sie noch Ihre Partei eine Lösung für die Lagerung von Atommüll haben! Stellen Sie dar, wie viele Millionen Jahre nachfolgende Generationen mit dem radioaktiven Müll leben müssen! Denn auch das alles gehört zur politischen Ehrlichkeit, wenn man ernsthaft für die weitere Nutzung von Kernenergie eintritt.

Die Frage des Kohlenstoffdioxid-Ausstoßes, das wissen Sie ebenfalls, ist eine sehr diffizile Frage, die vielgestaltig ist. Wir finden es ja schön, wenn Ihnen die CO2-Reduktion am Herzen liegt. Aber leider erweckt Ihre Pressemitteilung nur den Eindruck, dass Sie Atomkraftgegnern eine Mitschuld an der Klimaerwärmung geben möchten. Wer sagt denn, dass wir bis 2020 nicht eine höhere EE-Quote erreichen, als die von der Bundesregierung und Ihnen skizzierten 20 Prozent? Wer sagt denn, ob wir wirklich soviel Energie brauchen oder ob nicht auch effizientere Gewinnung und Nutzung von Energie den Strombedarf deutlich senken könnte? Interessanterweise fordern Sie in einer zweiten Pressemitteilung vom selben Tag höhere Wirkungsgrade für Biogasanlagen, wenige Tage vorher hatten Sie sich ausführlich zum Thema Nachwachsende Rohstoffe informiert. Hat man Ihnen da nicht auch gesagt, dass man in der Erforschung dieser Energien große Fortschritte und durch Ihre Nutzung auch deutliche Reduzierung der klimaschädlichen Gase erreicht hat? Wenn nicht, dann helfen wir Ihnen gerne weiter. Aber auch auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums können Sie sich informieren, warum es auch andere, viel bessere Rezepte gegen die Klimaerwärmung gibt und diese genutzt werden sollten und müssen.

Dass Energie dadurch teurer werden muss, ist übrigens keineswegs klar. Ganz im Gegenteil: Errechnen Sie den tatsächlichen Preis einer Kilowattstunde Atomstrom, indem Sie auch Neben- und Folgekosten (wie zum Beispiel Lagerung und Endlagerung von Brennstäben und der Atommeiler nach Abschaltung, der Sicherungskosten für Castor-Transporte, der Sicherungskosten der Endlager u. v. a.) einbeziehen! Und vergleichen Sie diesen mit einer Kilowattstunde aus Windkraft incl. deren Nebeneffekten (z. B. Technologieexport-Möglichkeiten)! Wenn Sie dann noch immer Kernkraft für die bessere Alternative halten, haben Sie sich verrechnet.

Bedenken Sie bei der Preisentwicklung von Strom aber auch noch andere Sachverhalte. Zum Beispiel, dass spaltbares Uran-235 auch nur in begrenzter Form auf der Erde vorhanden ist.

Bedenken Sie auch, dass Deutschland 90 Prozent seines Strombedarfs von vier Monopolunternehmen erhält und diese dadurch wenig kundenfreundlich bei der Preisgestaltung sein müssen.

Bedenken Sie dabei auch, dass viele Elektrogeräte immer noch viel mehr Strom verbrauchen, als notwendig. Zum Beispiel durch geringe Energieeffizienz oder kaum umgängliche Stand-by-Schaltungen. Und dass diese Elektrogeräte trotz Ihres erhöhten Strombedarfs sowohl produziert, als auch gekauft werden.

Schon allein diese Ansätze dürften Ihnen klar machen, dass der Strompreis von vielen Faktoren abhängt. Bei vielen dieser Faktoren hätten Sie als Politiker höhere Einflussmöglichkeiten, um Verbraucher, Unternehmen und auch die Landwirtschaft vor hohen Strompreisen zu beschützen. Im Übrigen bleibt uns verschlossen, warum Sie sich mit der Frage der Kernenergie so intensiv auseinandersetzen. Als Bundestagsabgeordneter wäre dieses Engagement ja noch eher zu verstehen, wenngleich ja auch die Bundesregierung, der Ihre Partei im Moment angehört, auf eine Verlängerung von Restlaufzeiten verzichten und am Atomausstieg festhalten will. Im Übrigen halten sich Ihre Parteikollegen wie Wirtschaftsminister Glos ja keineswegs zurück. Im Europäischen Parlament bzw. insgesamt auf Europäischer Ebene wären andere Fragen dagegen vordringlicher, wie wir finden. Zum Beispiel in der Frage, inwiefern der Wettbewerb am deutschen Strommarkt sichergestellt ist. Wie die CO2-Reduktion international vorangetrieben werden kann, zum Beispiel im Sinne von Kyoto-II oder Kyoto-Plus.

Oder ein paar Anregungen aus unserem Parteitagsbeschluss zur Ökologie- und Energiepolitik, die auch ihr Arbeitsfeld als agrarpolitischer Sprecher der Europagruppe betreffen:
"Der menschgemachte Klimawandel ist keine abstrakte Bedrohung in ferner Zukunft mehr. Er hat längst begonnen und vollzieht sich schneller als die Wissenschaft noch vor fünf Jahren vermutet hat. In ihm spiegeln sich die allermeisten Fehlentwicklungen der modernen Zivilisation: die exzessive Verbrennung von Kohle, Öl und Gas, die Rohstoffgewinnung und die Industrialisierung mit ihren hohen Energieverbräuchen, die Intensivierung und Chemisierung der Landwirtschaft, die Massentierhaltung und der hohe Fleischverbrauch und die Umwandlung von Wald und Buschland in Weide- und Ackerland wider. Die drohende Klimakatastrophe ist deshalb so etwas wie die ‚Summe aller Fehler‘."

Wir hoffen, sehr geehrter Herr Deß, dass wir mit unseren Gedanken bei Ihnen einen weiterführenden Denkprozess anstoßen werden. Ein Denkprozess, der die Bürger nicht einseitig zu überreden versucht, sondern der versucht, die Bürger mit ihren Ängsten und Nöten ernst nimmt. Ein Denkprozess, der hilft, Politik wirklich nachhaltig zu gestalten; eine Politik, die nicht nur die Stimmen für die nächste Wahl mobilisieren will, sondern eine, die weit über das Jahr 2020 hinaussieht und versucht, die Weichen dafür bereits jetzt richtig zu stellen. Zu einem weiteren konstruktiven Diskurs hierzu werden wir gerne beitragen.

Mit freundlichen Grüßen!
13.12.06
Stefan Schmidt, im Namen der Kreisvorstandschaft von Bündnis 90/ Die Grünen, Kreisverband NeumarktNeumarkt: "Reiner Populismus"
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