"Schlauer als Parteipolitiker"


Keine freien Plätze gab es beim politischen Aschermittwoch der Freien Wähler in Heng.
Fotos:Weidinger

Nachdenkliche Worte, aber auch traditionelles Aschermittwoch-
Draufhauen bei den Freien Wählern.
NEUMARKT. Spätestens seit die Freien Wähler neben ein paar Gemeinderäten und "Land-Bürgermeister" auch den Chef im Neumarkter Rathaus stellen, hat sich das alljährliche Fischessen in Postbauer-Heng zur wichtigsten politischen Aschermittwoch-Veranstaltung im Landkreis entwickelt.

Die "Freien" im ganzen Landkreis strotzen nur so von Selbstbewußtsein - und dies auch und vor allem mit Blick auf die anstehenden Kommunalwahlen.

Einer der "alten Landbürgermeister", wie er sich kokett selbst bezeichnete, war der Hauptredner beim politischen Aschermittwoch im Sportheim im Heng: Bürgermeister Willibald Keßler freute sich, daß nach Neumarkts Oberbürgermeister Thomas Thumann im letzten Jahr er an das Rednerpult gebeten wurde: Dort, in Neumarkt, "der Edelkarpfen im Meer der finanziellen Rücklagen" und hier, in Lupburg, "der nach Sauerstoff schnappende Grünkarpfen im kleinen Dorfteich".

Und dabei braucht sich Keßlers Gemeinde wahrlich nicht zu verstecken: Lupburg hat als "Golddorf der Oberpfalz" bei regionalen Wettbewerben alle Preise eingeheimst, die zu verteilen waren., wie der Vorsitzender der UPW-FW Postbauer-Heng, Kurt Hartmann, bei Keßlers Begrüßung sagte.

In bester Aschermittwoch-Manier haute Keßler zuerst einmal ein bißchen auf den politischen Gegner ein - der in Bayern in erster Linie CSU heißt. "Schlaue Reden" habe er gehört, "die nur mit Freibier zu ertragen sind". Und während in Passau "Wir sind Stoiber"-Transparente geschwenkt wurden, zitierte der "alte Landbürgermeister" in Heng griechische Philosophen:" Ich weiß, dass ich nichts weiß - und um diesen Unterschied hin ich schlauer als die meisten Parteipolitiker".

Was früher eher als rückständig und hinterwäldlerisch galt, nämlich das Bekenntnis zur ländlichen Heimat und Regionalität, sei einer Aufwertung des Lebens auf dem Lande gewichen, sagte Keßler in seiner Rede. In der Tat habe das Land in vielen Bereichen gegenüber den Ballungsräumen aufgeholt oder sogar gewonnen.

Ein Gefühl von Ohnmacht gegenüber den Entwicklungen von außen und eine fatale Orientierungslosigkeit von innen habe zum Beispiel die Lupburger bewogen, sich Hilfe durch das Bayerische Dorferneuerungsprogramm in die Gemeinde zu holen. Dorfplaner Professor Zepf aus München habe den Bürgern klar gemacht, dass die Defizite an Solidarität und Kreativität im Mittelpunkt kommunaler Strategie stehen müssen. Die von ihm kreierte "Bürgerwerkstatt" habe manche verkrampfte Beziehung und Einstellung gelöst. Methodisch geschickt habe er die rational oder emotional Agierenden geduldig zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise gelenkt.

Das Wieder-Zusammenwachsen der Lupburger trug schon bald Früchte. "Die Erarbeitung war, wie heute üblich, bürger-aktiv", sagte Keßler. Denn nur aus dem Bewusstwerden der positiven Eigenwerte einer Gemeinde könne ein neues Selbstbewusstsein entstehen. Dazu habe die Theatergruppe Sketche geschrieben und mit viel Selbstironie die Zuschauer mit den eigenen Schwächen konfrontiert. Die unterschiedlichsten Interessen konnten so "auf demokratische Weise und mit therapeutischer Qualität" ausgeglichen und zu einem Gesamtbild zusammengeführt werden.

Eine der "gelebten Phantasien und Visionen für 2020", die Ausgliederung aus der Verwaltungsgemeinschaft Parsberg, konnte schon 2002 Wirklichkeit werden. "Das Wir- Gefühl ist also durch das konsequente Umsetzen unserer Leitbildziele lebendig und sichtbar geworden". Die Gestaltung des Wandels habe sich in der komplett erneuerten Infrastruktur in der Ortsmitte geäußert. Dadurch wurde jedes Gefühl von Rückständigkeit vertrieben.

Sehr erfreulich ist das private Engagement in seiner Gemeinde: Nahezu 95 Prozent der Häuser im ensemblegeschützten Ortskern sind nach eingehender Beratung durch das Denkmalamt saniert worden. Das Konzept der Innenentwicklung ist aufgegangen - nur zwei Objekte sind noch unbewohnt.

Die Lebensqualität ist außerdem getragen von einer kompletten Grundversorgung mit Bäcker, Metzger, Lebensmittel, Arzt, Zahnarzt, und diversen Handwerker und Diensleistungsunternehtnen. An der BAB-Ausfahrt Parsberg haben sich Firmen angesiedelt, die etwa 160 neue Arbeitsplätze gebracht haben. 21 Vereine gestalten ein attraktives Freizeitangebot mit einem großen Anteil an Jugendarbeit, das durch ein hohes Maß an ehrenamtlicher Tätigkeit gewährleistet wird.

Die Lupburger hätten die Chancen des ökonomischen und sozialen Wandels nachhaltig genutzt, sagte Bürgermeister Keßler. Nur freie und motivierte Menschen könnten kreativ sein. "Parteipolitisches Sektierertum, manisch-depressive Mentalität und auch manisch-progressive Aktionisten" seien in der kommunalen Szene fehl am Platz. Und besonders wichtig: Das "Machtgefälle zwischen Bürgermeister, Markträten and Bürger" muß man aufheben.

Kurt Hartmann hatte als Ortsvorsitzender der "Freien" die Gäste in Postbauer-Heng zur "wahrscheinlich größten Aschermittwoch-Abendveranstaltung mit Fischessen im Landkreis Neumarkt" begrüßt.


Stefanie Huber nahm die eigenen Leute auf die Schippe
Neben dem Neumarkter Oberbürgermeister Thomas Thumann - Festredner im Vorjahr - hieß er FW-Kreisräte, Stadträte, Markträte und Gemeinderäte aus Berngau, Breitenbrunn, Dietfurt, Freystadt, Hohenfels, Lupburg, Mühlhausen, Neumarkt, Parsberg, Pilsach, Seubersdorf und Pyrbaum willkommen. Aus Pyrbaum und Lupburg waren die Bürgermeister Guido Belzl und Willibald Keßler gekommen.

Das Fischessen am Aschermittwoch in Postbauer-Heng fand zum 18. Mal statt. Es begann 1989 nach einer Anregung von aus Hamburg zugezogenen Mitgliedern und war anfänglich eine fast geschlossene Veranstaltung des UPW-Ortsvereins. "Heute haben wir gerade im politischen Lager viele Nachahmer, die die Rednerliste mit Auslaufmodellen wie Markus Söder in 2006 oder sonstiger Politprominenz aus der zweiten Reihe aufwerten", spottete Hartmann.

Und auch die Presse bekam ihr Fett weg, weil sie aus FW-Sicht offenbar viel zu wenig Fotos des Neumarkter Oberbürgermeisters veröffentlicht. Jede politische Gruppierung sei immer nur so gut, wie es "die sogenannte freie Presse" zulässt, sagte Hartmann. Gerade die Neumarkter Presse lasse sehr deutlich erkennen, "wen sie favorisiert", wenn CSU-Abgeordnete aus dem Bund und der EU "mit großen Buntbildern herausgestellt werden, während der mit überwältigender Mehrheit gewählte OB Thomas Thumann bei repräsentativen Aufgaben in einer Randnotiz oder gar nicht erwähnt wird", sagte Hartmann - wohlgemerkt am Aschermittwoch, nicht am Faschingsdienstag. Auch so könne man "Politik machen oder besser gesagt steuern".

Wirklich lustig wurde es dann aber noch im letzten Redner-Beitrag, bei dem traditionell Gemeinderätin Dr. Stefanie Huber die eigenen Leute auf die Schippe nahm.
22.02.07
Neumarkt: "Schlauer als Parteipolitiker"
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