"Die Sitzung ist geschlossen"


Mit einem Geschenk und einem Strauß Blumen für Gisela Paul verabschiedet Amtsgerichtsdirektor Dr. Erwin Baier den lang gedienten Ersten Justizhauptwachtmeister Otto Paul.
Fotos: Erich Zwick

Landtagsabgeordneter a.D. Herbert Fischer widmete eines
seiner ersten Gemälde – ein Stillleben – dem langjährigen
Freund Otto Paul.
NEUMARKT. Wie oft mag wohl Otto Paul den Satz gehört haben: "Die Sitzung ist geschlossen"? Am Donnerstag war für den Ersten Justizhauptwachtmeister selbst "letzter Sitzungstag" – er wurde vom Direktor des Neumarkter Amtsgerichts, Dr. Erwin Baier, nach 39 Dienstjahren in den Ruhestand verabschiedet.

Seine Uniform hatte er schon mit einem chicen zivilen Anzug vertauscht, als er im Sozialraum des "hohen Hauses" das Lebewohl des Amtschefs und der gesamten Belegschaft zugerufen bekam. Prominentester Ehrengast und zugleich Freund und Kartelbruder aus der längst abgerissenen "Krone" (heute Raiffeisen-Parkplatz): Landtagsabgeordneter a. D. Herbert Fischer.

Sein Abschiedsgeschenk erregte höchste Aufmerksamkeit unter den spannungsgeladenen Gästen: ein "Erstlingswerk" des Künstlers Herbert Fischer – ein schier meisterhaftes Stillleben, das selbst manchem Profi zur Ehre gereichen würde.

Bei so einem Abschiedsabend blieb natürlich nicht aus, dass in Erinnerungen gekramt wurde. Schließlich hat Otto Paul sieben Amtsgerichtsdirektoren und fünf Geschäftsleiter "ertragen" müssen – aber mit allen kam er vortrefflich zu Rande.

Die legendären Faschingsbälle des Amtsgerichts lockte selbst die "hohe Gerichtsbarkeit" aus Nürnberg in ihre Außenstelle, und der oft unkonventionelle Auftritt eines Anklagevertreters namens Georg (Schorsch) Schwemmer übertraf oftmals ein fernsehgewohntes "Königlich Bayerisches Amtsgericht".

So wurde die Klage gegen einen biederen Neumarkter Metzgermeister wieder aufgewärmt, den die Lebensmittelkontrolle wegen einer zu fetten Stadtwurst angezeigt hatte und er deretwegen eine Geldstrafe von 800 Mark hätte zahlen sollen.

"Staatsanwalt" – so ließ er sich gerne titulieren – Schwemmer ließ sich von der Theorie eines Lebensmittel-Gutachtens nicht überzeugen, sondern wollte "Beweise" aus der Praxis sehen. Er schickte den "Angeklagten" heim in seine Metzgerei, wo er "Kostproben" beibringen sollte. Der Metzgermeister tat wie ihm befohlen und kehrte mit einem riesigen Wurstpaket in den Sitzungssaal zurück.

Dort tischte er erst dem Vorsitzenden, dann dem Staatsanwalt, dem Verteidiger, der Protokollführerin, dem Wachtmeister und allen Zuhörern im Saal – also jedem – einen Zapfen Stadtwurst zum Verkosten auf.

"So und nicht anders muss eine echte Neumarkter Stadtwurst schmecken", mampfte der "Staatsanwalt" mit vollem Mund, und schwenkte triumphierend den Rest des Rings Stadtwurst in der Hand. "Ich fordere die Einstellung des Verfahrens", war sein ganzes Plädoyer. Der Verteidiger schloss sich an – der Richter urteilte nicht anders. Und zum Dank stellte der unbescholtene Metzgermeister dem Staatsanwalt, dem Richter und der Protokollführerin eine Dose Bier auf den Richtertisch. Das ging dann dem Vorsitzenden doch ein bisschen zu weit – er ließ das Freibier unterm Tisch verschwinden, und damit war die Würde des Gerichts wieder hergestellt.

Aber nicht nur viele Blicke zurück, sondern auch welche nach vorne richtete der Scheidende. Nach 38 Jahren zieht er im Januar aus der Dienstwohnung im Amtsgericht aus; die Räume werden für Büros gebraucht. In der Bräugasse wird er mit Frau Gisela ein neues Heim beziehen und sich dann seinen Freizeit-Aktivitäten widmen.

Als 1. Vorsitzender der "Chevaulegers" hat er alle Hände voll mit dem 100. Jubiläum des Traditionsvereins zu tun. Und alte Freundschaften will er pflegen und vielleicht all das zu Papier bringen (oder in den Computer eintippen), was er in seiner aktiven Zeit erlebt hat und worüber noch keine Zeitung berichtete.
Erich Zwick
04.12.08
Neumarkt: "Die Sitzung ist geschlossen"
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