Letztes Lebenszeichen am 10.12.41
NEUMARKT. Gute 60 Jahre ist es her, dass der 2. Weltkrieg zu Ende ist, und immer noch trauern Menschen um Getötete und Ermordete, suchen nach Spuren von Verschollenen.
So weilt momentan Nikolaj Mischtschenke aus Russland im Großraum Neumarkt . Er tut dies im Auftrag seines 86jährigen Vaters. Er forscht nach eventuellen Lebenszeichen oder aber der Grabstätte seines Onkels.
Schwierig, wenn man die lange Zeit bedenkt und wenn man weiß, dass allein in der Kriegsgräberstätte am Neumarkter Föhrenweg 5049 Tote, hauptsächlich aus der ehemaligen Sowjetunion, bestattet liegen. Über 1000 davon sind anonym begraben. Man kennt weder Namen noch den genauen Todeszeitpunkt.
Unterstützt wird der 50jährige Nikolaj vom
Verband der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschisten und Antifaschistinnen (VVN-BdA).In Neumarkt ist der Besuch aus Russland und seine Dolmetscherin Gast der Freien Liste Zukunft (FLiTZ).

Stadtrat Hans-Jürgen Madeisky hat vor Ort die Betreuung übernommen und begleitete den Gast am Dienstag. Madeisky richtet an alle älteren Menschen im Großraum Neumarkt, Sulzbach-Rosenberg und Regensburg, und Flossenbürg die Frage, ob sie sich vielleicht an den einstigen Kriegsgefangenen Gregory Mischtschenko, geboren am 18.8.1918 erinnern können.
Sein Dienstgrad, Soldat, Zivilberuf :Bauer. Am 4.Juli 1941, zwölf Tage nach Kriegsbeginn gegen die UDSSR, war er in Gefangenschaft geraten.
Seit Jahren bemühen sich seine Angehörigen um Informationen, mit Teilergebnissen: Aus den mittlerweile gefundenen deutschen Gefangenen-Papieren, versehen mit einem Stempel der geheimen Staatspolizei (Gestapo) Regensburg, geht hervor, dass der Gesuchte am 10.12.41 noch lebte.
Ob er mit zu denen gehörte, die laut Aktenlage "ausgesondert" wurden, weil sie zur Gruppe der "Juden, Intelligenzler, Kommunisten, Hetzer, Aufwiegler und Diebe, oder Flüchtlinge" gehörten - so im schlimmen Nazi Jargon - dazu dient die jetzt stattfindende Spurensuche.
Denn des Ende für viele der "Ausgesonderten" war die Erschießung in Flossenbürg. Ein Kriminalrat Kuhn von der Gestapo Regensburg berichtete am 17. Januar 1942 an die Gestapo München, dass er "die in einer Aufstellung genannten russischen Arbeitskommandos überprüft habe und von 704 Menschen die zahlenmäßig genannten unbrauchbaren Elemente - 80 an der Zahl- ausgesondert" habe. So die menschenverachtende Amtssprache der Nazis.
Ob Nikolaj nun in Neumarkt, Flossenbürg oder Sulzbach Spuren seines Onkels findet und darüber seinem Vater berichten kann, ist noch nicht sicher. "Was wir tun können", so Stadtrat Hans-Jürgen Madeisky gegenüber
neumarktonline, ist in jedem Fall ihn in seinem Bemühen und seiner Trauer zu respektieren und zu unterstützen". Man wolle dem Gast zeigen, "dass Einstellungen in Deutschland sich grundlegend geändert haben; für Nazi-Denken ist kein Platz".
In Neumarkt hätten in den letzten Jahren große Demonstrationen für Frieden und für Fremdenfreundlichkeit stattgefunden, an denen sich Tausende beteiligten.
Zwei Bitten aber richtet Hans-Jürgen Madeisky in diesem Zusammenhang an seine Mitbürger und an die Verantwortlichen in der Stadt: "Rechnen wir nicht gegeneinander auf, wie zum Beispiel deutsche Gefangene in Russland misshandelt und ermordet wurden. Man kann und darf Verbrechen nicht gegen Verbrechen setzen. Ungeschehen kann man sie so nämlich niemals machen und schon gar nicht entschuldigen".
Seine zweite Bitte geht an die Stadtoberen und betrifft die Albert-Reich-Straße in Neumarkt, die "nach einem überzeugten Nazi benannt wurde", allerdings mit dem Vermerk unter dem Straßenschild: "Verhängnisvoller Förderer des Nationalsozialismus". "Die Straße gehört umbenannt", fordert Madeisky: "Wie soll ich die Tatsache der bestehenden Albert-Reich-Straße zum Beispiel meinem suchenden und trauernden Gast aus Russland erklären?"
11.10.05
Neumarkt: Letztes Lebenszeichen am 10.12.41