Verbraucher entscheiden


Groß war das Medien-Interesse am Donnerstag bei der Vorstellung der Studie.


Gefragte Gesprächspartnerin: Katrin Oppitz hier beim Interview
von intv.
NEUMARKT. Die Neumarkter Lammsbräu sichert fast fünf Mal mehr Arbeitsplätze in der Landwirtschaft als eine vergleichbare konventionelle Brauerei. Und: Der stetige Anstieg von Billigbier im deutschen Handel hat in den letzten zehn Jahren allein im Braugewerbe rund 9.400 Arbeitsplätze gekostet.

Dies sind zwei zentrale Aussagen einer Studie der Universität Augsburg, die am Donnerstag in Neumarkt vorgestellt wurde.

Die Studie - erstellt im Rahmen einer Diplomarbeit - zeige an konkreten Zahlenbeispielen den unmittelbaren Einfluss von Verbraucherentscheidungen auf den Arbeitsmarkt, hieß es bei der Präsentation am Donnerstag-Morgen im Neumarkter Landratsamt. Anders ausgedrückt: Die Studie beantworte die Frage, was in Bezug auf den Arbeitsmarkt passiert, wenn sich der Verbraucher für ein konventionelles oder ein ökologisches Produkt entscheidet.

Die Studie wurde am Donnerstag-Morgen im Rahmen eines Presse-Frühstücks zum Auftakt eines ganztägigen Seminars "Vorfahrt für Arbeit - Impulse für regionales Marketing" vorgelegt, zu dem der Landkreis Neumarkt, die Universität Augsburg und die Neumarkter Lammsbräu zusammen mit den Co-Veranstaltern, dem Deutschen Verband für Landschaftspflege und dem Landschaftspflegeverband Neumarkt eingeladen hatte. Gesprächsteilnehmer - und später dann Referenten im Seminar - waren Landrat Albert Löhner, der Präsident des Deutschen Naturschutzringes Hubert Weinzierl, Prof. Dr. Armin Reller von der Universität und dem Wissenschaftszentrum Umwelt in Augsburg, Unternehmensberater und Diplomarbeitsbetreuer Manfred Mödinger sowie der Inhaber der Neumarkter Lammsbräu, Dr. Franz Ehrnsperger.


Dr. Franz Ehrnsperger, Manfred Mödinger und Landrat Albert
Löhner.
Eingebettet ist die Diplomarbeit in eine Reihe verschiedener Untersuchungen der Universität Augsburg und des Wissenschaftszentrums Umwelt über die Bedeutung regionaler Unternehmen für ihr Umfeld. Die von Katrin Oppitz erstellte Diplomarbeit befasst sich dabei mit der "Verbesserung des regionalen Marketings nachhaltig wirtschaftender Unternehmen".

Am Beispiel der Neumarkter Lammsbräu, einem stark regional verwurzelten Unternehmen und gleichzeitig "die führende Brauerei für ökologische Spezialitäten", werden die Rahmenbedingungen für die Vermarktung nachhaltiger und/oder regionaler Produkte diskutiert. Basis der Arbeit ist eine Befragung unter rund 300 Verbrauchern, Jugendlichen, Brauereimitarbeitern und Multiplikatoren. Katrin Oppitz recherchierte damals übrigens auch in neumarktonline und sprach ausführlich mit der Redaktion.

Die Ergebnisse der Studie

Um die Relevanz eines nachhaltig wirtschaftenden Unternehmens auf die Region zu untersuchen, wurden erstmals die Auswirkungen des Kaufs von Biobier im Vergleich zu konventionellem Bier auf die Zahl der Arbeitsplätze in landwirtschaftlichen Betrieben geprüft. Bislang existierten lediglich Vergleiche über die Anzahl von Arbeitsplätzen auf Biohöfen und konventionellen Bauernhöfen.

Die Ergebnisse im Einzelnen:
  1. Die Neumarkter Lammsbräu sichert aufgrund ihrer ökologischen Produkte fast fünf Mal mehr Arbeitsplätze in der Landwirtschaft als eine vergleichbare konventionelle Brauerei.

    Grundlage für diese Modellrechnung war das Datenmaterial des Bayerischen Agrarberichtes 2004. Demnach ergeben sich bei einer ökologischen Brauerei in der Größenordnung der Lammsbräu rund 19 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft. Eine konventionelle Brauerei mit dem selben Jahresausstoß würde dagegen nur noch vier bäuerliche Arbeitsplätze sichern. Durch den Bioanbau entstehen somit 4,75 Mal mehr bäuerliche Arbeitsplätze. (Eine detaillierte Berechnung findet sich imAnhang der Pressemitteilung).
  2. Der stetige Anstieg von Billigbier im deutschen Handel hat in den letzten zehn Jahren allein im Braugewerbe rund 9.400 Arbeitsplätze gekostet


    Hubert Weinzierl und Dr. Franz Ehrnsperger beim "Presse-Früh-
    stück".
    Über den Vergleich eines großen Billigbierherstellers mit der Neumarkter Lammsbräu als mittelständisches Unternehmen wurden die Auswirkungen des generellen Konsumrückganges bei Bier, vor allem aber die starke Hinwendung zu billigem Bier untersucht. Grundlage hierfür waren veröffentlichte Zahlen beider Brauereien sowie Daten der Gesellschaft für Konsumforschung und brauwirtschaftliche Statistiken. Aufgrund einer deutlich niedrigeren Produktivität verbunden mit einem niedrigen Anteil eigener Logistik müssten die Mittelstandsbrauereien rund 4.700 mehr Arbeitskräfte einsetzen, um den selben Ausstoß zu erreichen wie der Billigbierhersteller. Da der hier herangezogene Billigbierbetrieb laut GfK für rund die Hälfte des in Deutschland konsumierten billigen Bieres steht, errechnet die Studie, dass die Billigwelle allein im Braugewerbe rund 9.400 Arbeitsplätze gekostet hat. Dies entspricht 25% aller Arbeitsplätze der Branche. Nicht berücksichtigt ist dabei, dass an jedem Arbeitsplatz in Brauereien vier weitere im regionalen Umfeld hängen.
  3. Der Bierkäufer gibt bei einer Kiste Billigbier im Schnitt 0,66 Euro für die Bezahlung von Menschen aus. Bei einer Kiste Lammsbräu sind es dagegen 4,09 Euro.

    Hier sollte der Frage nachgegangen werden, wie viele Arbeitskosten in einer Kiste Billigbier stecken und wie viele in einer Kiste Lammsbräu. Über die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer, die Duchschnittspersonalkosten der Brauwirtschaft und den produzierten Getränkemengen wurden die genannten Größenordnungen ermittelt. Für die Lammsbräu kommt noch ein weiterer Euro für die Zusatzkosten des Biogetreides hinzu. Rechnet man schließlich noch die Handelsspannen und die Mehrwertsteuer auf die Differenz zwischen beiden Arbeitskosten, wird klar, dass die Mehrkosten, die der Verbraucher für eine Kiste Lammsbräu bezahlt, nahezukomplett in Mehrarbeit fließen.

    Weitere Ergebnisse der Studie, ermittelt aus der Befragung der Menschen im Landkreis Neumarkt, sind:

  4. Damit der Verbraucher regionale Produkte vorzieht, müssen diese von besserer Qualität sein als überregionale Produkte
  5. Die überwiegende Mehrheit der Befragten konnte selbst keinen Zusammenhang zwischen Regionalprodukten und dem Erhalt von Arbeitsplätzen herstellen. Wurde diese Abhängigkeit jedoch genannt, bekam der Aspekt der Arbeitsplatzsicherheit höchste Priorität.
  6. Bis auf wenige Ausnahmen beschränkte sich das Engagement der Politiker für Regionalität in der Regel auf Worte.
Eine unmittelbare Konsequenz aus diesen Erkenntnissen war ein Seminar, das vom Landkreis Neumarkt, der Universität Augsburg, der Neumarkter Lammsbräu zusammen mit dem Deutschen Verband für Landschaftspflege und dem Landschaftspflegeverband Neumarkt am heutigen Tag umgesetzt wurde. Unter dem Titel "Vorfahrt für Arbeit - Impulse für regionales Marketing" wurden vor allem mit regionalen Multiplikatoren wie Bürgermeistern, Ausbildungsleitern, Pädagogen aber auch Inhabern regionaler Unternehmen über den Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit, regionaler Bindung einerseits und wirtschaftlichem Erfolg und individuellem Gewinn an Lebensqualität andererseits diskutiert. Thematisch schlug das Seminar einen weiten Bogen: Von der Bedeutung regionaler Kreisläufe in Zeiten der Globalisierung (Prof. A. Reller, Uni Augsburg), über die Synthese von Naturschutz und Arbeitsplätze (Hubert Weinzierl, DNR) bis hin zu Regionalthemen aus Neumarkt mit der Vorstellung konkreter Projekte (Werner Thumann, Landschaftspflegeverband Neumarkt, Gero Wieschollek, Regina GmbH sowie Roland Hadwiger, Verein zur Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe).

Schlussfolgerungen

Zahlreiche Untersuchungen befassen sich bereits mit den Auswirkungen des ökologischen Landbaus im Vergleich zum konventionellen. Für den einzelnen Verbraucher ist es dabei nur schwer möglich, einen Rückschluss von diesen generell getroffenen Aussagen auf seine individuelle Lebenssituation zu ziehen. Mit dem nun vorgelegten Zahlenmaterial wird diese Hürde genommen.

Rechenbeispiel Landwirtschaftsbilanz

Datengrundlage: Bayerischer Agarbericht 2004
  1. Ausgehend von den durchschnittlichen Hektarerträgen und den durchschnittlichen Anbauflächen ergibt sich die durchschnittliche Erzeugung der betreffenden Frucht in Doppelzentnern pro Betrieb. Bei Biogetreideanbauern waren das 2004 234,5 dt Getreide.
  2. Diese Zahl malgenommen mit dem durchschnittlichen Erlös ergibt den Umsatz in Euro, den der Durchschnittsbetrieb mit dem Anbau von Braugetreide oder Hopfen erzielt. Die Lammsbräu bezahlte 2004 im Schnitt 36 Euro/dt, so dass der fiktive Durchschnittsbiobauer damit Euro 8.442 Euro Umsatz erzielte.
  3. Laut Agrarbericht erzielten Biobauern pro Hektar 1.971 Euro Umsatz und hatten im Schnitt 36,5 ha Betriebsfläche. Daraus errechnet sich ein jährlicher Gesamtumsatz pro Betrieb von rund 72.000 Euro.
  4. Laut Agrarbericht werden damit Euro 35.942 Einkommen für die Bauernfamilie und Euro 1.971 für fremden Personalaufwand abgedeckt. Der Rest sind sonstige Betriebskosten.
  5. Teilt man nun den Umsatz den Lammsbräu auslöst durch den Gesamtumsatz der Betriebe, steht die Biobrauerei für 11,7% Umsatzanteil bei insgesamt 60,9 bäuerlichen Betrieben.
  6. Dies bedeutet, dass der Umsatz, den die Landwirte mit Lammsbräu durch die Abnahme von Braugetreide erzielen, statistisch 14,3 Inhaberarbeitskräfte und ca. 0,7 Fremdarbeitskräfte bezahlt.
  7. Im Ergebnis werden durch den Biogetreidebezug der Lammsbräu also 15 landwirtschaftliche Arbeitsplätze gesichert.
  8. Wird dieselbe Berechnung für den Biohopfen durchgeführt, kommen weitere 3,9 bäuerliche Arbeitsplätze hinzu, so dass die Biobrauerei Neumarkter Lammsbräu insgesamt rund 19 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft sichert.
Anhand eines Lebensmittels des regelmäßigen Bedarfs werden Ursache und Wirkung von Kaufentscheidungen plakativ dargestellt. Prof. Armin Reller von der Universität Augsburg bringt es auf den Punkt: "Der Verbraucher ist nicht ohnmächtig, im Gegenteil: Er hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Arbeits- und Lebensqualität in seiner Region. Denn mit jedem Einkauf trifft der Konsument eine persönliche Entscheidung darüber, wohin sein Geld fließt und wie viele Arbeitsplätze wo geschaffen werden. Er entscheidet mit seinem Kauf auch über die Lebensqualitäten seiner Region: ob das die Zukunft der Bauern, die Anzahl der Lehrstellen für seine Kinder oder seinen eigenen Arbeitplatz betrifft."

Nach den Worten von Landrat Albert Löhner habe der Landkreis Neumarkt die Bedeutung eines regionalen Marketings erkannt. Mit dem Projekt Regionaldo und dem Regionalvermarktungsprojekt Jura-Distel-Lamm habe man ein aktuelles Beispiel für Marketing im regionalen Raum realisiert. "Gleichzeitig zeigt uns diese Studie, dass wir noch viel stärker den einzelnen Bürger in diese Aktivitäten einbeziehen und informieren müssen", sagte Löhner.

Hubert Weinzierl, Vorsitzender des Deutschen Naturschutz Ringes, der Dachorganisation des Naturschutzes in Deutschland, betonte in seinem Vortrag, daß zukunftsfähige Lebensstile nichts mit Verzicht und Askese zu tun hätten. "Freilich leben wir in einer globalisierten Welt, doch unterstützen wir nicht eine schrankenlose Liberalisierung oder einen ökologischen Kolonialismus". Das Gegenmodell sei die Nachhaltige Entwicklung, die den Zusammenhang von Ökonomie, Sozialem und Ökologie herstellte - "so wie die heute vorgestellte Studie."

"Nicht den Löffel abgeben"

Dr. Franz Ehrnsperger, Inhaber der Neumarkter Lammsbräu, überträgt schließlich die Ergebnisse der Studie auf die mittelständisch geprägte Bierbranche: "Bayern hat weltweit immer noch die höchste Dichte an Brauereien". Jahrhunderte lang hätten die Bauern mehr Braugerste produziert "als wir verbrauchen konnten". Trotz rückläufigen Bierkonsums habe sich dieses Verhältnis gedreht. Inzwischen importierten die bayerischen Brauer Braugerste oder -malz. Die Regionen aber zu stärken bedeute, dass sich Bauer, Brauer, Handel, Gastronomie und Verbraucher "wieder lernen, uns gegenseitig zu füttern. Ansonsten nehmen uns die internationalen Braukonzerne weiter die Luft zum Atmen, und wir alle geben den Löffel ab. Und mit uns die Regionen". Man müsse mit gutem Beispiel voranzugehen, andere dadurch mitziehen und damit dem Verbraucher die Wahl zu lassen. Bio und Regio würden zusammengehören und Arbeitsplätze schaffen. "Dieses Beispiel verstehe ich auch als Signal an unseren neuen Landwirtschaftsminister und das Regierungsprogramm ‚Vorfahrt für Arbeit'", sagte Ehrnsperger.
16.03.06
Neumarkt: Verbraucher entscheiden
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