"Gerechtere Welt?"
Von Heidi Rackl*
Anfang 1886 rief die nordamerikanische Arbeiterbewegung zur Durchsetzung des Achtstundentags zum Generalstreik am 1. Mai auf.
Das war vor 120 Jahren und seitdem steht der 1. Mai unter verschiedenen Schlagworten und Leitsprüchen im Kampf um eine gerechtere Welt.
Und es stellt sich die Frage: Was ist eine gerechtere Welt?
- Ist es gerecht, dass mehr als 5 Millionen Menschen in unserem Land ohne Arbeit sind? Diese Menschen haben Angst. Dabei gehört es zur Menschenwürde, mit eigener Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen und frei von Existenzängsten leben zu können.
- Ist es gerecht, dass auch junge Leute mit gutem Schulabschluss keinen Ausbildungsplatz finden und junge Leute mit guter Ausbildung keinen Arbeitsplatz?
- Ist es gerecht, wenn ein Hartz-IV-Empfänger, der ein Leben lang gearbeitet hat, genauso behandelt wird wie ein 40-jähriger, der sich für eine Sozialhilfekarriere entschieden hat?
- Ist es gerecht, dass es faktisch für die heute über 50-jährigen Arbeitnehmer in Deutschland keinen Kündigungsschutz mehr gibt?
- Die Gesetze sind in den letzten Jahren in Zusammenhang mit befristeten Arbeitsverträgen so verändert worden, dass Arbeitnehmer über 50 Jahre befristet und ohne jeglichen Kündigungsschutz beliebig und unbegründbar gekündigt werden können.
Erreichen wollte man mit diesem Gesetz, dass die über 50jährigen verstärkt eingestellt werden. In der Realität sieht es aber so aus, dass die über 50jährigen ausgestellt werden und dann, wenn sie ausgestellt sind, kaum eine Chance haben, wieder in Arbeit zu kommen.
Dabei hatte die Deutsche Wirtschaft zugesagt, dass sie nach einer Lockerung beim Kündigungsschutz neue Arbeitsplätze schaffen würden.
Daher sage ich unmissverständlich: Wer glaubt, durch die Beseitigung oder Einschränkung von Arbeitnehmerinteressen die Wirtschaft anzukurbeln, befindet sich auf dem Irrweg.
Noch ein aktuelles Thema, das zum 1. Mai passt: Das Ladenschlussgesetz.
Erinnern wir uns - Mitte der 90er Jahre wurde uns gesagt, wenn der Ladenschluss in Deutschland liberalisiert wird, geht es aufwärts. Dann können die Leute endlich richtig einkaufen und die ungeheuere Nachfrage wird Tag und Nacht erfüllt.
Und wie sieht es heute aus:
- Der Umsatz ist nicht gestiegen, dafür die Kosten der Einzelhändler,
- Die Zahl der Einzelhändler ist um 10 Prozent zurückgegangen und damit auch die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich,
- Zugenommen hat dafür die Zahl der Konzerne, die mit ihrem Konkurrenzkampf und Aussagen wie "Geiz ist geil" bei immer weniger Personal immer mehr Menschen in ihre Geschäfte locken.
Deshalb müssen wir ganz genau abwägen, wenn es um verkaufsoffene Sonntage geht. Gefragt sind hier aber nicht nur die Geschäftsleute - wir sind froh, dass wir sie haben, oder die Politiker, die das entscheiden sollen, sondern auch diejenigen, die die Innenstädte an solchen Tagen nahezu belagern.
Unser Sozialstaat ist eine der großen europäischen Kulturleistungen. Gerade die Existenz von sozialen Netzen in Europa unterscheidet uns von anderen Teilen in der Welt. Der Sozialstaat in Deutschland ist in über 100 Jahren entstanden. Daran haben viele mitgewirkt: die Arbeiterbewegung, verantwortungsvolle Unternehmer, Kirchen, Gewerkschaften. Und das "Soziale" in der Marktwirtschaft hat wesentlich zum Erfolg der deutschen Demokratie beigetragen.
Deshalb gefährdet die aktuelle Krise des Sozialstaates nicht nur das soziale Gleichgewicht in unserem Land, sondern langfristig auch die Grundlagen unserer Gesellschaft und letztlich auch unserer Demokratie insgesamt.
Deshalb sind alle Verantwortlichen aufgefordert, Politik mit Blick auf eine gute Zukunft darauf zu achten, das "Soziale" in der Marktwirtschaft nicht verloren geht.
*Heidi Rackl ist Neumarkter Kreisvorsitzende der CSA
27.04.06
Neumarkt: "Gerechtere Welt?"