"Nicht zementieren"
NEUMARKT. "Armut in Deutschland führt zu Benachteiligung, Benachteiligung führt zu Ausgrenzung, Ausgrenzung führt letztlich zu Diskriminierung. Wer arm ist bleibt es in der Regel auch", stellte der Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Klaus Wenzel, am Dienstagabend in Neumarkt beim "Evangelischen Forum 2007" fest.
Er machte dafür auch die zu kurze gemeinsame Lernzeit der Kinder verantwortlich: "Die Sortierung zehnjähriger Kinder in verschiedene Schultypen fördert nicht ihre Begabungen, sondern verhindert vielmehr ihre Entfaltung." Wenzel forderte, die durch das starre Schulsystem zementierte Reproduktion von Armut endlich zu durchbrechen und bezeichnete dies als eine der wichtigsten Aufgaben im 21. Jahrhundert.
Die Staatsregierung forderte er auf, die Datenbasis über Armut in Bayern zu aktualisieren. Bislang gibt es nur einen Sozialbericht - er wurde 1998 vorgelegt. Erhebungen im Schulsystem, die den familiären Hintergrund der Schüler einbeziehen, wurden in Bayern seit 20 Jahren nicht mehr erlaubt. Derzeit leben in Bayern 157.000 Kinder in Familien, die Arbeitslosengeld II erhalten, das sind 8,2% aller bayerischen Kinder.
Bayern sei ein reiches Land - trotzdem nehme die Armut zu: Vergangenes Jahr bezogen in Bayern rund 513.000 Personen Hartz IV, hinzukommen weitere knapp 80.000 Menschen, die von Sozialhilfe lebten. Festzustellen seien allerdings große regionale Unterschiede: So sei der Anteil mit 20 Prozent in Nürnberg, Schweinfurt und Hof deutlich höher als in Eichstätt und Freising (2,4 Prozent). Allein in München lebten vergangenes Jahr 19.000 Kinder unter 15 Jahren in armen Familien. Besonders hart von Armut betroffen seien Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Familien mit Migrationshintergrund.
Armut bleibe nicht ohne Wirkung. So würden Kinder aus armen Familien seltener von gemeinsamen Unternehmungen mit Eltern berichten, dagegen häufiger von Streit mit den Eltern. Kinder mit dauerhafter Armutserfahrung würden am Ende der Grundschulzeit eine deutlich erhöhte motorische Unruhe und Nervosität aufweisen; 46 Prozent der Grundschüler aus dauerhaft armen Familien seien im Rechnen schlecht, nur acht Prozent gut (gegenüber 20 Prozent schlecht und 29 Prozent gut aus nicht armen Familien).
Im Lesen seien die Unterschiede noch ausgeprägter: 24 Prozent der armen Kinder sind im Lesen gut, bei den nicht armen Kindern sind es 42 Prozent, hieß es. Arme Kinder würden Misserfolge häufiger sich selbst zuschreiben als den Umständen. Es gäbe deutliche Tendenzen zur Resignation.
21.11.07
Neumarkt: "Nicht zementieren"