Zeitzeugen gesucht


Sie fordern die Neumarkter Mitbürger auf, einen Beitrag zur Dokumentation "Demokratie und Diktatur – Neumarkt 1919 bis 1945" beizusteuern: Heimatpfleger Rudi Bayerl, Zeitzeuge Alfred Braun, Oberbürgermeister Thomas Thumann, Stadtarchivar Dr. Frank Präger, Museumsleiterin Petra Henseler und Kulturamtsleiterin Dr. Gabriele Moritz (von links).
Fotos: Erich Zwick

Kulturamtsleiterin Dr. Gabriele Moritz im angeregten Gespräch
mit Alfred Braun.
NEUMARKT. Heute kann er darüber bitter lächeln, damals – im Jahre 1944 – war ihm eher mulmig zumute, als ihm als 14-Jähriger mit dem Kriegsgericht gedroht wurde, weil er sich vor einer "Erziehungsmaßnahme" gedrückt hatte.

Alfred Braun, Jahrgang 1927, hatte sich auf Geheiß seines Vaters gesträubt, der Jugendorganisation der NSDAP beizutreten. Sein Vater war – wie er später selbst– Mitglied der KPD. Und weil der Bub partout nicht den "Pimpf" spielen wollte, wurde er dazu verdonnert, auf der Polizeiwache an zwei Sonntagen Holz zu hacken.

Einen Sonntag lang ließ er die "Erziehungsmaßnahme" über sich ergehen, den zweiten schwänzte er. Das erzürnte den damaligen "Stammführer" Kapl der "Hitler-Jugend, Bann Steinpfalz", mit Sitz in der Weiherstraße dermaßen, dass er einen geharnischten Brief an den Vater, den Gefreiten Johann Georg Braun mit der Feldpostnummer 01743, schrieb, der sich vorher über die Behandlung seines Sohnes beschwert hatte.

Stammführer Kapl empörte sich, dass Brauns Sohn Alfred "seit zweieinhalb Monaten keinen HJ-Dienst mehr besucht hat", wo doch dieser "laut Gesetz Pflichtdienst ist." Dann geht es mit toller Logik weiter: "Wenn Ihr Sohn deswegen bestraft wurde…ist dies keine Strafe, sondern eine Erziehungsmaßnahme, Ihren Sohn am HJ-Dienst zu interessieren und zweitens keine allzu harte Erziehungsmaßnahme."

Diese Anekdote, belegt mit Kopien des damaligen Schriftwechsels, erzählte am Dienstag einer der noch wenigen Zeitzeugen der Epoche zwischen 1919 und 1945, besagter Alfred Braun als Einstimmung auf die Ausstellung "Demokratie und Diktatur", die ab 9. November im Stadtmuseum zu sehen sein wird.

Aufmerksame Zuhörer waren die mit der Vorbereitung betrauten Forscher der jüngeren Stadtgeschichte: Stadtarchivar Dr. Frank Präger, Kulturamtsleiterin Dr. Gabriele Moritz, Museumsleiterin Petra Henseler und Heimatpfleger Rudi Bayerl. Ihnen dankte schon einmal Oberbürgermeister Thomas Thumann für die bisher geleistete und die noch vor ihnen liegende Arbeit, mit der sie ein knappes halbes Jahrhundert ins Rampenlicht rücken wollen, über das bislang eine Art Schleier des Vergessens zu hängen schien.

Denn die bekannten Daten der "Goldenen Zwanziger Jahre" und die des "Dritten Reiches" sollen hier nicht "aufgewärmt" werden, sondern das Neumarkt von damals soll ein Gesicht bekommen – ein Abbild des Alltags durch kleine Geschichten über Neumarkter Bürger, wie sie eine davon Alfred Braun zum besten gegeben hat.

Da kommt ihm bei dieser Gelegenheit auch die Erinnerung an seine Schulzeit in der "Hindenburgschule", in der nur Evangelische und "Andersgläubige" – einer seiner Klassenkameraden war Ernst (Ernest) Haas – unterrichtet wurden. "Der Ernst hätte sich ja mal melden können", meinte Alfred Braun im Hinblick auf dessen Besuch im vergangenen Jahr in Neumarkt.

Aber nicht nur "Wortbeiträge" und Fotografien möchte das Museum noch zusammentragen, sondern auch Erinnerungsstücke an die damalige Zeit. Vielleicht schlummern noch auf Dachböden in Vergessenheit geratene "Schätze", die dann den Fudus aus "Volksempfänger", Winterhilfswerk-Abzeichen, Orden und Urkunden ergänzen.

Die "Funde" werden mit sachlich-fachlichen Erklärungen versehen, um eine "gefährliche Glorifizierung der Nazi-Zeit und ihrer ‚Helden’ zu vermeiden", wurde ausdrücklich hervorgehoben.

Wer also einen kleinen oder großen Beitrag (als Leihgabe) zu der Ausstellung leisten kann, darf sich an das Stadtmuseum, Adolf-Kolping-Straße 4, - auch telefonisch Dienstag bis Donnerstag am Vormittag unter 09181/2401, oder per eMail stadtmuseum@neumarkt.de – wenden.
Erich Zwick


Ein Klassenbild mit Alfred Braun (Kreis) aus den Vierziger Jahren vor der "Hindenburgschule", der späteren Evangelischen Schule in der Bahnhofstraße. Ganz rechts in der ersten Reihe Ernst Haas, der vor den Nazis nach Amerika floh.
18.03.08
Neumarkt: Zeitzeugen gesucht
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