"Nicht Spielball der Politik"

NEUMARKT. "Reform der Pflegeversicherung?" Dies war das Thema einer Informationsveranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der Gaststätte Turnerheim.

Ortsvorsitzender Michael Meyer zeigte sich sichtlich erfreut über die gute Resonanz der Teilnehmer. Er machte eingangs deutlich, dass gerade dieses Thema die Bürger verstärkt treffen wird. Als Referenten konnte er DGB-Regionsvorsitzender Willi Dürr und Ludwig Rödl von der AOK-Direktion Neumarkt begrüssen.

Die vom Bundestag in zweiter und dritter Lesung verabschiedete Pflegereform bringt nach Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes Verbesserungen für Pflegebedürftige und deren Angehörige. Der DGB-Regionsvorsitzende Willi Dürr kritisiert allerdings, das eine langfristig stabile Finanzierungslösung für die Pflegeversicherung fehlt.Die Leistungsverbesserungen gingen in die richtige Richtung, weil sie damit auch den Auftrag für beide, nämlich den Pflegenden und den Betroffenen, einen erweiterten finanziellen Rahmen eröffnet, so Dürr weiter.

Die Einrichtung von Pflegestützpunkte sollen künftig auf Initiative eines Bundeslandes von den Pflegekassen errichtet werden. Diese auf die regionalen Erfordernisse abgestellte Lösung wirft allerdings noch ein Reihe von Fragen auf, die zum derzeitigen Zeitpunkt von den Ländern noch keinesfalls beantwortet sind, bzw. die weder die entsprechende Finanzausstattung, noch die punktuellen Stützpunkte genau beschreibt.

Um aber das Umsetzen ab 2009, nämlich den Versicherten einen Anspruch auf individuelle Beratung, Unterstützung und Begleitung durch einen Pflegeberater zu kommen zu lassen, sei zwingend Handlungsbedarf auch der Bayerischen Staatsregierung gefordert.

Allerdings müßten auch hier die Fragen der Finanzierung sauber und nachvollziehbar für die Menschen gelöst werden. Sie dürfen keinesfalls zum Spielball der Politik und schon gar nicht für Wahlkampfversprechungen herhalten, "die dann nach der Landtagswahl in Schall und Rauch aufgehen". Deshalb sei Aufklärung für den DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften sowie für die Versicherten ein wichtiger Bestandteil der Arbeit in den nächsten Monaten.

Denn das Risiko der Pflegebedürftigkeit sei ein grundlegendes und in seiner Bedeutung wachsendes Lebensrisiko. Dieser gesellschaftlichen Bedeutung entspreche seine eigenständige Absicherung, die derzeit beitragsorientiert und im Umlageverfahren erfolge.

In der politischen Diskussion zur Weiterentwicklung der Finanzierung gibt es mehrere Modelle wie die teilweise oder ausschließliche Steuerfinanzierung, die teilweise oder ausschließliche Privatisierung und die Bürgerversicherung.

Der DGB sieht allerdings in der Privatisierung sowohl die Gefahr der Kürzung des Leistungskatalogs mit der Folge der Privatisierung von Pflegeleistungen, wie auch Risiken des Kapitalmarktes.

Während die Leistungsbeträge seit Einführung der Pflegeversicherung in der Höhe unverändert geblieben sind, ist der Index der Verbraucherpreise zwischen 1995 und 2003 von 93,9 auf 103,4 Punkte gestiegen .

Wenn die Pflegeversicherung einen Zuschuss aus Steuermitteln zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben erhält - wie für die Berücksichtigung von Kindererziehung oder für die Beiträge zur Rentenversicherung und an den Unfallversicherungsträger für pflegende Angehörige und zur Finanzierung der beitragsfreien Familienmitversicherung - werde sie auch zukünftig ihren gesellschaftlichen Auftrag finanziell stabil erfüllen können.

Das "neoliberale Gesicht der Staatsregierung" zeige sich auch am aktuellen Reformvorschlag der bayerischen Sozialministerin Stewens zur Pflegeversicherung. Die Staatsregierung möchte trotz der notwendigen Leistungsausweitung für demenzkranker Personen den gemeinsamen Beitragssatz zur Sozialen Pflegeversicherung in Höhe von 1,7 Prozent einfrieren und stattdessen eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung aufbauen. Im ersten Jahr müssten die Versicherten mit einem monatlichen Beitrag von 6 Euro rechnen, der sich in den folgenden Jahren um jeweils einen Euro erhöht.

Dieses Modell der CSU würde für den Durchschnittsverdiener bereits im ersten Jahr eine Beitragssatzsteigerung von rund 15 Prozent bedeuten, hieß es.

Eine Reform der Pflegeversicherung müsse auf diese Fragen Antworten finden: Der DGB Bayern und seine Verbündeten schlagen deshalb Maßnahmen vor, die den beschriebenen Anforderungen gerecht werden. Im Vordergrund stehe dabei die Verbesserung der Situation pflegebedürftiger Menschen, insbesondere der demenzkranken Menschen, die Dynamisierung der seit 1995 unveränderten Leistungen zur Vermeidung von Altersarmut und die Verbreiterung der Basis der solidarischen Finanzierung. "Wir fordern die Politik auf, die allseits als notwendig erkannte Reform der Pflegeversicherung im Interesse der pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen zügig umzusetzen", hieß es bei der Versammlung in Neumarkt.

Wichtige Neuerungen der Pflegereform wurden von Ludwig Rödl von der AOK Direktion Neumarkt vorgestellt. Im ambulanten Bereich werden die Pflegesätze für alle Pflegestufen, in der stationären Pflege für die Stufe III und für Härtefälle erstmals seit 1995 stufenweise bis 2012 angehoben. Von diesem Zeitpunkt an werden die Pflegesätze alle drei Jahre - also erstmals 2015 - an die allgemeine Preisentwicklung angepasst.

Die Steigerungen im Einzelnen:

Ambulante Sachleistung
Pflegestufebisher200820102012
Stufe I384420440450
Stufe II9219801.0401.100
Stufe III1.4321.4701.5101.550


Pflegegeld:
Pflegestufebisher200820102012
Stufe I205215225235
Stufe II410420430440
Stufe III665675685700


Vollstationäre Pflege
Pflegestufebisher200820102012
Stufe I1.0231.0231.0231.023
Stufe II1.2791.2791.2791.279
Stufe III1.4321.4701.5101.550
Stufe III Härtefall1.6881.7501.8251.918


Zur Finanzierung wird allerdings der Beitragssatz ebenfalls erstmals seit 1995 angehoben. Er steigt zum 1. Juli 2008 von jetzt 1,7 Prozent des Bruttoeinkommens auf 1,95 Prozent für Versicherte mit Kindern und von 1,95 auf 2,2 Prozent für kinderlose Versicherte. Die Bundesregierung erwartet dadurch Mehreinnahmen von 2,5 Milliarden Euro jährlich, mit denen die Finanzen der Pflegeversicherung bis 2015 gesichert werden sollen.

Kritik übte hier der DGB Regionsvorsitzende Willi Dürr, weil vor allem bei der Frage der Freistellung von Angehörigen von der Arbeit, die Politik durch die Lobbyarbeit der Arbeitgeber, die Freistellung für 6 Monate in unbezahlte Freistellung umgewandelt wurde, und damit vielen Angehörigen eine Pflege aus finanziellen Gründen fast unmöglich macht. "Damit wird unsere Forderung nach der häuslichen Pflege in der gewohnten Umgebung, erheblich erschwert", sagte Dürr.
30.05.08
Neumarkt: "Nicht Spielball der Politik"
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