"Alles oder Nichts"?

Hat sich Ministerpräsident Seehofer (links) von Albert Deß abge-
wandt? Unser symbolträchtiges Foto entstand schon vor fast zwei
Jahren beim Berchinger Roßmarkt.
Foto: Archiv/Erich Zwick
NEUMARKT. Eigentlich müsste ein Aufschrei durch die ganze bayerische Landwirtschaft, durch die Oberpfälzer und durch die Neumarkter CSU gehen: Der durch keine einzige Wählerstimme legitimierte Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer will den überaus erfolgreichen Europaparlamentarier Albert Deß eiskalt abservieren.
Die in Nürnberg erscheinende
Abendzeitung berichtete über eine "interne Liste", nach der der erfahrene Oberpfälzer Abgeordnete mit dem undankbaren achten Listenplatz "abgespeist" werden soll, was bei der gegenwärtigen politischen "Großwetterlage" als ein "Wackelplatz" gilt. Falls die CSU überhaupt die Fünf-Prozent-Hürde (bundesweit) nehmen würde, könnte sie gerade mal sechs bis sieben Sitze in Straßburg/Brüssel ergattern.
Ein jeder Parlamentarier kennt die Liste, aber keiner will sie in die Welt gesetzt haben. Noch hoffen die etablierten Europa-Abgeordneten auf eine Platzierung vor der vom "befehlsgewaltigen Feldherrn Seehofer und seinem General zu Guttenberg" (Kommentar in der
Süddeutschen Zeitung) nach Oberfranken abkommandierten Monika Hohlmeier, die den sicheren sechsten Platz erhalten soll. Insider vermuten, dass mit dieser honorigen Geste eine alte Fehde zwischen der Familie Strauß/Hohlmeier und Seehofer begraben werden soll.
Die verbindliche Nominierung auf der Liste erfolgt freilich erst am 17. Januar in der Hanns-Seidel-Stiftung in München. Bis dorthin haben noch die Partei-Granden die Gelegenheit, auf die Reihung Einfluss zu nehmen. Denn bei der Europawahl kann nicht der einzelne Kandidat nach vorne gewählt werden, sondern der Wähler muss die gesamte Liste (Partei) akzeptieren. Die Sitze werden dann in der Reihenfolge der Nominierung vergeben; also kann niemand von Platz 8 auf Platz 6 "vorgewählt" oder von Platz 1 auf einen nachfolgenden Platz verwiesen werden.
Für Albert Deß würde ein achter Platz das europapolitische Aus bedeuten, wenn nur sechs oder sieben Mandate zu vergeben wären. Aber noch ist die Messe nicht gelesen, wie man in der Oberpfalz zu sagen pflegt.
Und dass da einige etwas zu sagen hätten, dürfte wohl eine Selbstverständlichkeit sein. Da wäre wohl zu erwarten, dass die Vorsitzende der Oberpfälzer CSU, Emilia Müller, ihre Stimme erhebt und für ihren Kandidaten Albert Deß einen besseren als den achten Platz fordert. Es darf einfach nicht sein, dass drei Oberbayern – Monika Hohlmeier mit "Oberfranken-Ticket" mitgerechnet – und andere Regierungsbezirke vor dem Oberpfälzer Albert Deß rangieren.
Ebenso müsste ein Aufschrei der Neumarkter und Oberpfälzer Mandatsträger dem Ingolstädter "Feldherrn" durch Mark und Bein gehen. Hier, wo seine (?) getreuesten Wähler verwurzelt sind, würde man kaum Verständnis dafür aufbringen, dass durch Monika Hohlmeier bewährte amtierende CSU-Europaabgeordnete aus dem Europaparlament verdrängt werden sollen.
Diese Missbilligung lässt leider in breiter Front auf sich warten. Aber schon regen sich vereinzelt Stimmen, die den "Seehofer-und-zu-Guttenberg-Schachzug" als eklatanten politischen Fehler brandmarken.
So appellierte ein namhafter Nürnberger Notar an alle bayerischen Europa-Abgeordneten (der Brief liegt
neumarktonline in Kopie vor), "untereinander solidarisch zu bleiben und gemeinsam die Platzierung von Frau Hohlmeier auf einem sicheren Listenplatz zwischen Ihnen abzuwehren."
So erinnert der Briefeschreiber an die Worte der mit dem "Oberfrankenticket" nach Norden geschickten Oberbayerin Hohlmeier, dass diese "bedauerlicherweise in der Öffentlichkeit erklärte, sie wolle nur auf einem sicheren Listenplatz kandidieren". Daraus sei zu schließen, dass es der Kandidatin Hohlmeier "nicht in erster Linie um die Sache Europapolitik der CSU, sondern um einen sicheren Posten als Europaabgeordnete der CSU geht."
Ein namhaftes Neumarkter CSU-Mitglied, das von "politischem Unverstand" seiner eigenen Partei spricht, geht sogar noch weiter: "Wenn sich Seehofer hier durchsetzt, dann sollte man ihm einen Denkzettel verpassen und die Europawahl boykottieren. Dann wäre kein einziger CSU-Abgeordneter mehr im Europa-Parlament."
Der von dem heraufziehenden Debakel betroffene Europa-Abgeordnete war am Montag für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Albert Deß nahm an einer Sitzung in Bayreuth teil.
Erich Zwick
29.12.08
Neumarkt: "Alles oder Nichts"?