"Wechselbad der Gefühle"
Von Dekan Richard Distler
Die Neumarkter Passionsspiele dauern noch bis zum Abend des Karfreitags. Wer bei diesem geistlichen Spiel eine Rolle zu spielen hat, der muss sich mit der eigenen Rolle und der der anderen intensiv auseinandersetzen.
Da geht
es geht um die Frage: Wie fülle ich meine Rolle aus? Wie stehe ich selbst zum Leiden Christi oder um Fragen wie: Freundschaft und Verrat, Schuld und Vergebung, Zustimmung und Ablehnung der Person Jesu, Glaubensbegeisterung und Glaubenszweifel.
Das Spiel selbst kann dem Zuschauer durchaus ein "Wechselbad der Gefühle" bereiten. Wer kennt solche Gefühle nicht? Da geht lange alles gut und glatt. Wir wähnen uns in Sicherheit und im Glück oder genießen die gute Stimmung. Doch urplötzlich fühlen wir uns von anderen missverstanden, vielleicht sogar- wie Jesus in der Passion - verraten oder verleumdet.
Es können uns schlimme Nachrichten ereilen: Ein Todesfall, ein Unglück, eine Krankheit oder ein Misserfolg. Auf solche Einbrüche im Leben sind wir dann oft nicht vorbereitet und eingestellt. Da ist man erst ganz oben und dann auf einmal ganz tief unten.
Wer die Liturgie des Palmsonntags mitfeiert, der muss sich auf ein solches "Wechselbad der Gefühle" gefasst machen. Da kommt es mitten in der Liturgie zu einem jähen Bruch zwischen dem "Hosanna" und dem "Kreuzige ihn". Vorausgeht die feierliche Palmprozession, verbunden mit der Segnung der Palmzweige. Die Palme ist ein uraltes Symbol für Triumph und Sieg. Die Jesusjünger und die "Kinder von Jerusalem" brechen Palmzweige von den Bäumen. Sie feiern ihren Jesus als den großen Sieger, als den kommenden Messias seines Volkes, der im Triumph in die Stadt Jerusalem einzieht. Diese Hosannarufe könnte man heute vergleichen mit den Hoch- und Bravorufen der Fans in einem Fußballstadion.
Doch die Liturgie des Palmsonntags wechselt dann schlagartig in Passionsstimmung.
Urplötzlich erklingen da die schrillen Töne der Feinde Jesu. Damit nicht genug: Das Volk, das ihm zuvor noch zujubelte, lässt Jesus plötzlich fallen. Es lässt sich dazu verführen, Jesus das "Kreuzige ihn" entgegenzuschreien. Dieses Wechselbad der Gefühle verträgt nicht jeder.
Gottesdienstbesucher sind eher an das Ausgeglichene, Wohltuende und Harmonische gewöhnt. Aber ist nicht dieser Bruch in der Liturgie auch ein Sinnbild für die Realität, für das wirkliche Leben? Die Sternstunden und Glücksmomente in unserem Leben dauern oft nicht lange. Das Leben kennt plötzlich auch große Tiefen und Rückschläge. Bei manchen Leuten geht es dann oft ganz dick ein. Familien oder Einzelne werden dann oft von heut auf morgen mit Fragen konfrontiert wie: Warum diese Krankheit? Wie werde ich damit fertig ? Warum habe ich soviel Pech und Misserfolg ? Wo ist da jetzt Gott in dem Leid, das uns getroffen hat ?
Das Leben ist eben kein Kinderspiel und keine Spaßveranstaltung. Der Palmsonntag zeigt uns, dass Jesus, der Gottessohn nicht bloß auf einer Wolke oder im "siebten Himmel" schwebte, sondern dass er auch das Leid annahm. Er konnte das, weil er sich auch in seiner Passion ganz von Gott, seinem Vater getragen und beschützt wusste. Der Palmsonntag zeigt auch jedem Einzelnen, dass er sich im Leben mit den verschiedensten "Rollen" auseinandersetzen muss. Ob es uns gefällt oder nicht, auch wenn es dabei zu einem "Wechselbad der Gefühle" kommt: Nicht nur den Glücksmomenten haben wir uns zu stellen, sondern auch der "Annahme des Kreuzes und des Leidens".
Die ältesten Zeugnisse einer Palmprozession und der Segnung der Palmzweige finden sich schon im 9. Jahrhundert in Rom und in Gallien. Damals führte die Prozession aus der Kirche hinaus. Die Türen wurden geschlossen und erst beim Einzug durch dreimaliges Klopfen geöffnet, um an den Einzug Jesu in Jerusalem zu erinnern.
03.04.09
Neumarkt: "Wechselbad der Gefühle"