Gedanken zum Osterfest

Von Dekan Dr. Norbert Dennerlein


Dr. Norbert Dennerlein
In der Heimatgemeinde meiner Mutter war es üblich, dass die Konfirmandinnen und Konfirmanden am Tag ihrer Konfirmation ihren Paten als Dankeschön ein (ca. 80 x 60 cm großes) Wandbild schenken. Ich habe meinen Paten ein Osterbild geschenkt. Auf diesem Bild waren Jesus und die Emmausjünger am Ostermorgen zu sehen. Ich hatte mich für dieses Bild entschieden, weil mich als 14-Jährigen bei der Auswahl aus der Vielzahl der Möglichkeiten genau dieses Bild von Anfang an fasziniert hatte.

Der Künstler dieses Bildes hatte umzusetzen versucht, was in der Bibel der Evangelist Lukas im 24. Kapitel seines Evangeliums erzählt hat: Zwei junge Männer sind auf dem Weg in den Ort Emmaus, zwei Tagesreisen von Jerusalem entfernt. Es war kein leichter Gang. Die beiden jungen Männer waren Anhänger, Jünger Jesu. Nach dessen Tod am Kreuz am Karfreitag machten sie sich nun traurig auf den Weg zurück. Zurück in die Vergangenheit. Zurück in ihren gewohnten Alltag. In ihre gewohnte Welt. Zwischen ihrem Weggang von dort und ihrer Rückkehr jetzt lag eine andere Zeit. Dazwischen lag eine Zeit, in der sich ihr Denken, Reden und Handeln total verändert hatte. Dazwischen lag die Zeit, in der sie Jesus von Nazareth begegnet waren. Wegen ihm und dem, was er predigte und lebte, hatten sie alles Bisherige in einem anderen Licht zu sehen gelernt. Hatten sie den Schritt gewagt, alles Gewohnte hinter sich zu lassen und etwas Neues zu beginnen. Hatten sie es gewagt, was viele nicht schaffen.

Für viele, auch heute, gibt es einen Satz, der fast noch mehr geachtet wird als die zehn Gebote. Der Satz: "Das war schon immer so." Aber wer sagt, dass alles, was schon immer so war, auch gut so war? Wenn wir ehrlich sind: Dieser Satz verhindert doch jeden Neuanfang. Er zementiert Gewohntes und gibt diesem einen Rang, der ihm nicht zusteht. Jede Zeit muss in allen Bereichen von Neuem überlegen und entscheiden, was für sie jetzt und heute richtig ist. Das betrifft unsere Familien, unseren Arbeitsalltag und die Arbeit in der Kirche. Nur so werden wir unserer Verantwortung für unsere Generation und für die Generation nach uns gerecht. Das sture Festkleben an Gewohntem ist ein bequemer Weg. Wer immer nur das Gewohnte tut, der braucht nichts mehr zu denken. Aber was unterscheidet uns dann noch von einer Maschine? Gott hat uns einen Verstand mitgegeben, den wir auch einsetzen sollen. Sonst verändert sich nichts in unserer Welt. Sonst bleibt alles beim Alten.

Die Jünger Jesu im Neuen Testament hatten diesen Schritt gewagt. Und es hatte auch alles sehr hoffnungsvoll begonnen. Was dieser Jesus von Nazareth sagte und lebte, das ließ sie den Atem anhalten. Es war so völlig anders als das, was sie gewohnt waren. Schon allein, wie er mit den Menschen umging, ließ aufmerken. Er nahm alle ernst: die Kleinen und die Großen, die Armen und die Reichen, die Angesehenen und die am Rand der Gesellschaft Stehenden. Plötzlich verstanden sie, was ihnen über die Liebe Gottes zu den Menschen von Kindheit an in den Heiligen Schriften erzählt worden war. Mit diesem Jesus wollten sie immer zusammen sein. Denn in seiner Gegenwart fühlten sie sich sicher und geborgen, verstanden und angenommen.

Doch es kam anders. Ganz anders. Der Karfreitag und die Kreuzigung Jesu vor den Toren Jerusalems bedeutete den vollkommenen Zusammenbruch ihrer Hoffnungen und Erwartungen, ihrer Zukunftspläne. Völlig unvorbereitet standen sie vor dem Scherbenhaufen ihres neuen Denkens. Manchen von uns ist es schon ähnlich ergangen. Wenn Zukunftspläne plötzlich zerbrechen, zwischen den Fingern zerrinnen, wenn z.B. Beziehungen oder Freundschaften scheitern, Arbeitsplätze gefährdet sind oder verloren gehen, wenn Menschen oder ihnen nahestehende Menschen schwer erkranken, dann empfinden Menschen Hilflosigkeit, manchmal sogar Verzweiflung. Dann haben sie das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Den Boden zu verlieren und zu fallen.

Wie viele Gedanken gehen in solchen Stunden durch den Kopf. Die Freunde Jesu fragten sich: "Haben wir uns in ihm getäuscht? Hat er uns nur etwas vorgemacht?" Wie gut können wir diese Gedanken verstehen. Erinnern wir uns: Als wir etwas Neues gewagt hatten und es scheinbar schieflief, weil es anders lief als erwartet, fühlten wir uns ziemlich verunsichert. Wie leicht kommt da der Gedanke: "Ich hätte das Neue nicht wagen sollen."

So oder ähnlich dachten die Jünger nach Karfreitag. Darüber redeten die beiden Jünger im Lukasevangelium, als sie in ihr Heimatdorf Emmaus zurückgingen. Zurück in die Vergangenheit. Hinter die Zeit mit Jesus zurück. In das Gewohnte. Sie hatten sich eben getäuscht. Ihre Hoffnungen - zerplatzt wie eine Seifenblase. Nichts blieb von dem, was sie sicher zu haben meinten. Jesus und die Zeit mit ihm - eine schöne Erinnerung. Aber keine Wirklichkeit mehr.

Als sie so der jüngsten Vergangenheit, dem Geschehen von Karfreitag nachtrauern und auf dem Weg zurück in das Altgewohnte sind, begegnen sie jemandem, den sie nicht zu kennen glaubten. Weil sie ihn nicht zu kennen glauben, erzählen sie ihm das Geschehene der letzten Tage ganz ausführlich. Sie schütten ihm ihr Herz aus. Sie sind ehrlich mit ihm. Sie schildern ihm ihre Hoffnungen und Erwartungen, die sie in Jesus gesetzt hatten. Sie geben aber auch offen ihre Trauer und ihre Enttäuschung zu, als dieser ans Kreuz geschlagen worden und gestorben war. "Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen würde." Wie viel Resignation spricht aus diesen Worten!

Der Mann, der mit ihnen geht, erweist sich als einfühlsamer Seelsorger. Als einer, der zuhören kann, der seine Gesprächspartner ernstnimmt und ihnen das Gefühl gibt, verstanden zu werden. Und er erweist sich als einer, der sich in den Heiligen Schriften auskennt. Als einer, der ihnen den Sinn des Karfreitagsgeschehens überzeugend erklären kann: "Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war."

(Mit diesen Worten Jesu wird die jahrtausendealte Praxis als Blödsinn entlarvt, das bis ins vergangene Jahrhundert die Verfolgung und Ermordung der Juden damit gerechtfertigt hatte, das Juden Jesus ans Kreuz geschlagen hätten. Erstens war Jesus selbst Jude und die Jünger auch, so dass man damit letztlich auch ihren Tod fordern würde. Zweitens waren es nur ein paar, die Obersten, die nach bestem Wissen und Gewissen Jesus verurteilen ließen. Die Neumarkter Passionsspiele haben das sehr deutlich gezeigt. Mit welchem Recht und nach welcher Logik sollten noch zweitausend Jahre später Angehörige dieses Volkes gedemütigt und umgebracht werden? Drittens waren es römische Soldaten, die ihn ans Kreuz schlugen, und nicht Juden. Und viertens und das ist das Entscheidende: hat Gott selbst es so gewollt, so heißt es in der Erzählung von den Emmausjüngern. Gott selbst wollte, dass sein Sohn am Kreuz starb. Er hat es zugelassen. Denn nur auf diesem Weg konnte der Jude Jesus für uns als Nichtjuden zum Erlöser, zum Heiland werden. Wenn man also in diesem Zusammenhang überhaupt von Schuld reden kann, dann trifft die Schuld allein Gott selbst und niemanden anders. "Musste nicht Christus solches leiden und in seine Herrlichkeit eingehen?")

In der Gegenwart Jesu verstehen die Jünger den Sinn dessen, was in Jerusalem geschehen ist. Sie erkennen, dass es so hatte kommen müssen, wie es geschehen ist. Wäre es nicht so gekommen, wäre Jesus nicht am Kreuz gestorben, dann hätten sie nichts zu lachen. Dann hätten auch wir nichts zu lachen. Denn dann gäbe es für sie und für uns keine Rettung, keine Erlösung. Ohne den Juden Jesus von Nazareth, den wir als Sohn Gottes betrachten, gibt es für uns keine Rettung, keine Erlösung.

Auf dem Rückweg in ihre Vergangenheit holt Jesus die beiden Jünger ein und sie erkennen den Sinn des Leidens und Sterbens Jesu. Es geht ihnen ein Licht auf. Sie erleben das Gespräch mit dem Auferstandenen ganz intensiv - ohne ihn anfangs zu erkennen. Sie hatten ja nicht mehr mit ihm gerechnet. Ihren Jesus glaubten sie ins Grab gelegt zu haben. Die Begegnung jetzt passte nicht in das Bild, das sie von Jesus hatten. Und doch: der am Kreuz gestorbene Jesus und der, der ihnen jetzt begegnete, war ein und derselbe. "Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach` s und gab`s ihnen." Sie erkennen es daran, wie er mit ihnen das Abendessen hielt. Sie erkennen ihn als den, der versprochen hat, bei uns zu sein, wenn wir nach seinem Wunsch das Heilige Abendmahl miteinander feiern.

Die Jünger erkennen Jesus. Und sie sind glücklich. Sie merken: Wir haben uns nicht getäuscht! Wir haben nicht auf den Falschen gesetzt. Es war richtig, dass wir uns dem Neuen geöffnet hatten. Darum konnten sie den Weg nach Emmaus in ihre eigene Vergangenheit nicht fortsetzen. Sie brauchten es nicht. Denn Jesus lebte, darum kehrten sie sofort um nach Jerusalem, um den anderen diese frohe Nachricht zu bringen.

Ostern macht uns Mut, so umzukehren wie die Emmausjünger. Es macht uns Mut, darauf zu vertrauen, dass Gott Jesus nicht dem Tod überlassen, sondern ihn auferweckt hat. Es zeigt uns, dass Gott sich nicht mit todbringenden Umständen abfindet, sondern auf Leben setzt. Ostern macht uns Mut, den Satz hinter uns zu lassen: "Das war schon immer so." Es macht uns Mut, den Aufbruch, das Neue zu wagen! Uns für das Leben einzusetzen – in dem Wissen, dass Gott mit uns geht.
10.04.09
Neumarkt: Gedanken zum Osterfest
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