Die mittelalterliche Stadt Rothenburg ob der Tauber wird gerne von Touristen
besucht. Besonders beeindruckend ist der sogenannte Hl. Blut Altar oder auch Fronleichnamsaltar in der evangelischen St. Jakobskirche. Er stammt noch aus der katholischen Zeit vor 1500 und zog damals Tausende von Wallfahrern an. In der Mitte des Altars hat der geniale Künstler Tilman Riemenschneider das Letzte Abendmahl dargestellt, geschnitzt aus Lindenholz.
Riemenschneider zeigt jenen dramatischen Augenblick, wo Jesus den Jüngern kundtut:“Einer von euch wird mich verraten“ und wie er Judas einen Bissen Brot reicht, das Abendmahl. Ein anderer Jünger, es dürfte Jakobus sein, deutet mit dem Finger nach unten auf die Mensa des Altars. Es ist so, als wolle er sagen: „Was da beim Abendmahl passiert ist, wird gegenwärtig in der Feier des Altarsakraments, in der Hl. Messe. Da ist der Herr, der Christus, selber da, da ist er ganz präsent mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut. Genau um dieses größte Geheimnis des Glaubens geht es heute an Fronleichnam.
Aber warum findet an Fronleichnam die Eucharistiefeier nicht in den Kirchen, sondern im Freien, in aller Öffentlichkeit statt, gleichsam „Open Air“? Und warum auch noch eine Prozession durch die Straßen und Gassen? Zunächst sollte damit allen bewußt werden: Der Mensch ist nur ein Fremdling und Pilger auf dieser Welt. Wir haben hier keine endgültige Bleibe, wir sind vielmehr unterwegs zwischen Zeit und Ewigkeit. Es ist aber kein Weg und Zug von Getriebenen und Gehetzten. Die Ruhe, die Gebete, die Festgesänge und die bunte Vielfalt dieser Prozession laden dazu ein, nicht am Rande zu stehen, sondern mitzumachen. Fronleichnam stellt die Frage, die für jeden Menschen wichtig ist: Wer bin ich, woher komme ich und wohin gehe ich? Wonach sehne ich mich und was ist das Ziel meines Lebens?
Fronleichnam zielt auf ein tieferes Geheimnis des Menschen. Doch das tiefste Geheimnis ist Gott. Deshalb ist die Mitte der Fronleichnamsprozession der „Himmel“, das „Gottesbrot in der Monstranz“, der Leib Christi. Da wird das Allerheiligste dieser Welt, der geheimnisvolle Leib des Menschen- und Gottessohnes Jesus Christus mitgetragen. Aber was bedeutet das für uns? Es bedeutet: Auf unserer Pilgerschaft zwischen Zeit und Ewigkeit ist er, der Herr, unser Weggefährte. Er lässt uns nicht im Stich. Er segnet unseren Lebensweg, unsere Arbeit, unsere Häuser, Familien, Städte und Dörfer, ja die ganze Erde, wenn der Priester an den 4 Altären mit der Monstranz den Segen erteilt. Mehr noch: Christus, der heilige Fronleichnam, zeigt uns Erdenpilgern auch das Ziel unseres Weges: Das ist er selbst, wie es am 4.Altar heißt, er, der Herr unserer Zukunft, er das Haupt der neuen Menschheit. Doch auf dem Weg dorthin braucht es immer wieder die Wandlung, die Ver-wandlung durch den Empfang der heiligen Kommunion, des Leibes Christi.
Unsere Zukunft ragt also schon herein in die Gegenwart. Deshalb schreibt der Theologe Karl Rahner: „Die Fronleichnamsprozession sagt uns: Die Welt ist schon in ihre letzte Phase getreten. Sie kann ihr Ziel nicht mehr verfehlen. Dieses Ziel ist nicht bloß ein Zukunftsversprechen, sondern es ist jetzt schon wirksam in der Gegenwart.“. Was für eine Freude und was für ein Trost geht doch von diesem Fest aus! Wir sind zwar oft ratlos, suchend, fragend und tastend auf unserem Lebensweg. Und dennoch liegt das Ziel ganz nahe, es ist verborgen im Zeichen der heiligen Hostie. Vielleicht war dies auch schon die Sehnsucht der vielen Wallfahrer, die vor langer Zeit zum Altar des heiligen Leibes und Blutes Christi nach Rothenburg gepilgert sind. Sie haben gespürt, dieser Fronleichnamsaltar zeigt uns den Weg und das Ziel unseres Lebens.