Chinesen regieren


In Dietfurt werden die Chinesen die Macht übernehmen

NEUMARKT. Eine der bizarrsten Faschings-Traditionen wird am "Unsinnigen Donnerstag" wieder deutschlandweit für Schlagzeilen sorgen: ganz im Süden des Landkreises setzen sich die Dietfurter komische Hüte auf und gelten dann als die "Chinesen Bayerns" - und das schon seit dem 19. Jahrhundert.

364 Tage im Jahr regiert in der 6000-Einwohner-Stadt die Beschaulichkeit. Dann erfreuen sich die Touristen am siebenstimmigen Glockengeläut der Stadtpfarrkirche St. Ägidius, bestaunen die barocke Wallfahrtskirche und das Franziskanerkloster. Einmal im Jahr jedoch - stets von langer Hand geplant - versetzt eine "Revolution" das oberpfälzische Kleinod in Ausnahmezustand: Dann wird aus dem Erholungsort im Altmühltal für einen Tag ein Teil des mehr als zehn Flugstunden entfernten Reichs der Mitte.


Immer am "Unsinnigen Donnerstag" in der Faschingszeit verwandelt sich die Stadt in "Bayerns Chinatown". Tausende Besucher aus ganz Deutschland werden sich auch in diesem Jahr am 23. Februar die chinesische Invasion ins bayerische Kernland nicht entgehen lassen.

Vom Rathaussessel bis zur Müllabfuhr, vom Restaurant bis zum Supermarkt - alles ist fest in chinesischer Hand. Dietfurts Bürger, ob groß, ob klein, schlüpfen in chinesische Tracht, stecken sich China-Zöpfe ins Haar und die Drogerie mit der gelben Hautschminke hat Hochkonjunktur.

Eine Anekdote erzählt den Ursprung des verrückten Treibens, das den Dietfurtern den Titel "Bayerische Chinesen" einbrachte. Demnach soll irgendwann in der Stadtgeschichte der Steuereintreiber des Bischofs in das Städtchen gereist sein, um höhere Abgaben einzutreiben. Die Nachricht vom Besuch gelangte aber vor dem Steuereintreiber in die Stadt. Die Bürger verbarrikadierten die Tore und der Gesandte des Bischofs musste ohne Geld abziehen. Seinem Bischof erzählte er dann: Die verstecken sich hinter ihrer Mauer wie die Chinesen.

Ob die Erzählung stimmt, weiß auch in Dietfurt keiner so genau. Verbürgt ist aber ein Kalender von 1860 und eine wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahr 1869, worin bereits damals die Dietfurter als Chinesen bezeichnet wurden und von einem Chinesen-Viertel die Rede ist. Der Grundstein für die Faschingstradition wurde aber erst 1928 gelegt, als die Stadtkapelle erstmals in China-Gewändern auftrat.

Schnell hat der Ruf vom Chinesenfasching weite Kreise gezogen - quer durch Bayern und ganz Deutschland. "Diplomatische Abordnungen" von Faschingshochburgen aus der ganzen Republik werden an der Proklamation des Kaisers Fu-Gao-Di teilnehmen und anschließend begleitet vom vielstimmigen "Kiliwau" in den Straßen der Stadt bis tief in die Nacht feiern. Kaiser Fu-Gao-Di heißt im richtigen Leben Manfred Koller, ist 47 Jahre alt und im Brennstoffhändler. Der Name des Regenten heißt übersetzt so viel wie "glücksbringender großer Kaiser". Manchen Besuchern glauben allerdings auch, aus dem Namen ein oberpfälzisches "Viel Gaudi" heraushören zu können.

Die gemeinsame Reise der Dietfurter ins ferne China beginnt am "Unsinnigen Donnerstag" sehr früh: Bereits in den Morgenstunden zieht eine 30köpfigen Meute mit viel "Lärm und Geschepper" kreuz und quer durch die Stadt. Auf ihrem Zug verkünden sie mit einem schallenden Weckruf den Beginn des "chinesischen Nationalfeiertags" in der oberpfälzischen Kleinstadt.

Mit etwa 15.000 Menschen rechnen die Organisatoren, wenn ab 13 Uhr auf der Bühne direkt auf dem Stadtplatz Akteure und Besucher dem Höhepunkt entgegen fiebern: dem legendären chinesischen Maskenzug, bei dem in diesem Jahr um 14 Uhr etwa 50 Gruppen und viele leibhaftige Chinesen bei der Kaiserkrönung Fu-Gao-Dis für kurze Zeit "Chinatown" im Herzen Bayerns aufleben lassen.
obx
15.02.17
Neumarkt: Chinesen regieren
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