neumarktonline Dokumentation
Buchvorstellung "Neumarkt im Nationalsozialismus 1933 – 1945"
Von Oberbürgermeister Thomas Thumann
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Anlässlich des 850. Stadtjubiläums hinterfragt die Stadt Neumarkt nicht nur ihre Anfänge im
Mittelalter, sondern thematisiert auch die jüngere Vergangenheit.
Mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
widmet sich die vorliegende wissenschaftlich fundierte Dokumentation nun erstmals
umfassend der Geschichte unserer Stadt während des Dritten Reiches.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren der Wiederaufbau der fast vollständig zerstörten
Stadt und die Wiederherstellung der Infrastruktur wohl weitaus vordringlicher für die Bürger,
als die Auseinandersetzung mit dem verbrecherischen Naziregime.
Rasch waren die äußerlichen Kriegswunden beseitigt worden; Neumarkt entwickelte sich zum
prosperierenden Gemeinwesen.
Seit Mitte der 80er Jahre beschäftigten sich erstmals engagierte Neumarkter Gymnasiallehrer
und ihre Schüler in einer Vielzahl von Facharbeiten intensiv mit der Aufarbeitung der NS-Zeit
in Neumarkt. Ein Schulprojekt am Ostendorfer Gymnasium über das Schicksal der jungen
Neumarkter Jüdin Ilse Haas, die 1944 zwanzigjährig im KZ Stutthof bei Danzig von den
Nazis ermordet wurde, gab 2006 weitere Impulse.
Es entstand ein vielfach preisgekröntes Musical mit dem Titel "Der letzte Brief", das
tausenden Besuchern das Schicksal eines jüdischen Mädchens hier in Neumarkt bewegend
vor Augen führte.
Wir als Stadt haben dies zum Anlass genommen und nicht nur die Brüder Haas nach
Neumarkt eingeladen, sondern auch den Weg durch den Stadtpark als Ilse-Haas-Weg benannt,
so wie wir vorher schon den Weg entlang des Schlossweihers bei der Mädchenrealschule als
Geschwister-Scholl-Weg benannt und damit den Opfern des Naziterrors gewidmet haben.
Seither hat die Stadt Neumarkt wichtige Erinnerungszeichen gesetzt, sei es im Winter 2008/09
durch eine Ausstellung im Stadtmuseum mit dem Titel "Rechts-staat? – Neumarkt in der NSDiktatur.
Eine Zwischenbilanz" oder durch die vielfältigen Bemühungen, mit denen wir die
Erinnerung an das Schicksal der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter im Durchgangslager
Wolfstein pflegen.
Ich erinnere nur daran, dass wir seit Jahrzehnten zusammen mit dem Volksbund Deutscher
Kriegsgräberfürsorge den Kriegsgräberfriedhof am Föhrenweg pflegen und dass wir an der
Wolfsteinstraße inzwischen einen "Friedenspark" eingerichtet haben, der an das
Durchgangslager und die Opfer mit einem Friedenskreuz und einem Bronzemodell des Lagers
sowie Erläuterungstafeln erinnern soll.
Und nun wollen wir mit dieser von mir vor 4 Jahren in Auftrag gegebenen historischen Arbeit
eine weitere wichtige Lücke in der Lokalgeschichtsforschung schließen.
Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle allen, die sich um die Realisierung dieser
Dokumentation verdient gemacht haben.
Allen voran den beiden Autoren Dr. Markus Urban und Katrin Kasparek von Institut für
Regionalgeschichte - "Geschichte für Alle e.V". Und der Verein kann heuer auf 25 Jahre
seines Bestehens zurück blicken und feiert daher - wie die Stadt Neumarkt – Jubiläum.
Beide Autoren unserer Neumarkter Dokumentation sind Historiker und ausgesprochene
Kenner der Geschichte des Nationalsozialismus vor allem auf der Ebene der Regional- und
Lokalgeschichte Frankens und der Oberpfalz.
Dr. Markus Urban hat Neuere und Neueste Geschichte, Neuere deutsche Literaturgeschichte
und Alte Geschichte an der Universität Erlangen studiert und eine ausgezeichnete Dissertation
mit dem Titel "Die Konsensfabrik. Funktion und Wahrnehmung der NS-Reichsparteitage,
1933-1941" vorgelegt.
Herr Dr. Urban hat den Großteil der Texte verfasst und wird Ihnen im Anschluss die
wichtigsten Ergebnisse und Einschätzungen vorstellen.
Frau Katrin Kasparek, die nach dem Studium der Sozialen Arbeit an der Evang.
Fachhochschule Nürnberg Fränkische und Bayerische Landesgeschichte, Neuere und Neueste
Geschichte und Soziologie an der Universität Erlangen studiert hat, beschäftigte sich vor
allem mit der Rolle der Katholischen Kirche in Neumarkt zwischen Anpassung und
Selbstbehauptung sowie mit der Geschichte und dem Schicksal der jüdischen Gemeinde in
Neumarkt.
Zu diesem letzteren Thema wird in der nächsten Zeit auch eine umfangreiche
Einzeluntersuchung von Hans Hirn erscheinen.
Außerordentlich wichtige Vorarbeiten für diese Publikation leistete vor allem unser
Stadtarchivar, Dr. Frank Präger , wofür ich mich herzlich bedanke.
Ebenso bedanke ich mich bei der Leiterin des Stadtmuseums, Frau Petra Henseler, die das
Buchprojekt mit vielen Detailkenntnissen unterstützte.
Frau Henseler arbeitet zur Zeit unter Hochdruck an einer Ausstellung mit dem Titel "Wider
das Vergessen – Neumarkter Lebenswege 1919-1945", die sich den persönlichen und
beruflichen Lebenslinien von Neumarktern während der Weimarer Republik und der NSDiktatur
widmen wird.
Dabei werden Regimegegner und Verfolgte, wie etwa der Schreiner Josef Dirnberger oder die
Familie Baruch, die in der Wohnung über der Synagoge gelebt hatte, vor dem Vergessen
bewahrt.
Aber man erfährt auch von Denunziationen und Drohungen, mit denen sich die Menschen
alltäglich konfrontiert sahen und die sie zu Duldern oder willfährigen Parteigängern des
Systems werden ließen.
Zudem wird aber auch versucht, die Motivation von Wegbereitern und Nutznießern der
braunen Willkürherrschaft zu ergründen.
Bitte merken Sie sich schon jetzt die Ausstellungseröffnung am Sonntag, den 5. Dezember um
11.30 Uhr vor und nicht wie in unserem Jahresprogramm am 14. November angekündigt.
Unverzichtbare Hilfestellungen für die Realisierung dieses Buchprojektes, vor allem beim
Korrekturlesen, leisteten auch Rudi Bayerl und Arnold Graf, wofür ich mich an dieser Stelle
bedanke.
Frau Anni Lang hat bis kurz vor Drucklegung wertvolle Zeitzeugenhinweise vor allem bei der
Bildrecherche gegeben, herzlichen Dank auch dafür.
Schließlich sei vor allem auch Frau Dr. Moritz gedankt, die die Kontakte zum Institut für
Regionalgeschichte hergestellt und das Publikationsprojekt stets mit Rat begleitet hat.
Sie war es auch, die die Fertigstellung des Buches in den vergangenen Wochen forcierte und
mir das fertige Manuskript zur Durchsicht und Korrektur mit einem unverrückbaren Zeitplan
vorlegte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Wenn wir gerade heute am 9. November dieses Buch vorstellen, so hat dies auch
Symbolcharakter.
Denn dieser Tag ist mit einer ganzen Reihe wichtiger historischer Ereignisse verknüpft.
Die Öffnung der Berliner Mauer war am 9. November 1989 und hat die Zusammenführung
der beiden deutschen Staaten eingeleitet, die seit 1945 als Folge des Zweiten Weltkrieges
nicht nur durch Schlagbäume, sondern durch eine Mauer in Berlin und eine scharf bewachte
Grenze getrennt waren.
Auch 1918, 1923 und 1938 hat der 9. November deutsche Geschichte geschrieben.
Am 9. Nov 1918 wurde angesichts der militärischen Niederlage des Deutschen Kaiserreichs
die Abdankung Kaiser Wilhelms II. verkündet und von einem Fenster des Reichstags in
Berlin die "Deutsche Republik" ausgerufen.
Am 9. November 1923 wurde die am Vorabend im Münchner Zirkus Krone von Adolf Hitler
ausgerufene "nationale Revolution" an der Feldherrnhalle durch die Bayerische
Bereitschaftspolizei niedergeschlagen.
Vier Polizisten, ein Passant und sechzehn Putschisten starben.
Für weitere neun Jahre konnte die junge Weimarer Demokratie vor den massiven Angriffen
rechtsradikaler Kreise gerettet werden.
Der 9. November 1938 führt uns schließlich in die dunkelste Epoche deutscher Geschichte.
Das Attentat des 17jährigen polnischen Juden Herschel Grynszpan auf Legationssekretär und
NSDAP-Mitglied Ernst Eduard vom Rath in der Deutschen Botschaft in Paris am 7.
November 1938 und dessen Tod zwei Tage später nutzte Reichspropagandaminister Josef
Goebbels geschickt zu einer Radikalisierung der anti-jüdischen Schikanen.
Am 9. November 1938 zerstörten SA und SS- Männer in Zivil sowie aufgehetzte Jugendliche
überall in Deutschland jüdische Geschäfts- und Wohnhäuser, viele Synagogen brannten.
Auch in Neumarkt wurde die Synagoge in der Hallertorstraße geplündert und verwüstet,
lediglich die dichte Bebauung und die Angst vor einem Übergreifen des Feuers verhinderte
die Brandstiftung.
Eingeschlagene Schaufenster, geplünderte Läden, Gewaltanwendung gegen die jüdischen
Bürgerinnen und Bürger waren auch in Neumarkt am Abend des 9. November 1938 zu
verzeichnen.
An ihren von den Nazis zugefügten Verletzungen während des Novemberpogroms starben die
jüdischen Mitbürger Ludwig Landecker und Luis Löw.
Der Nationalsozialismus hatte auch in Neumarkt erstmals in aller Öffentlichkeit und
unverhohlen sein wahres Gesicht gezeigt.
Es ist höchst verdienstvoll, dass Sie, sehr geehrter Herr Dekan Dr. Dennerlein im letzten Jahr
die Initiative ergriffen haben und zusammen mit Dekan Monsignore Distler mit einem
ökumenischen Gottesdienst der auch für die jüdische Gemeinde in unserer Stadt so
verhängnisvollen Pogromnacht gedenken.
Ich lade sie daher jetzt schon ein im Anschluss in die Hofkirche zum diesjährigen
ökumenischen Gedenkgottesdienst ein.
Heute, am 9. November 2010 will auch die Stadt Neumarkt einen wichtigen Beitrag zu dieser
längst fälligen Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte während der NS Zeit vorstellen.
Neumarkt war durchaus nicht unbekannt in jenen Jahren:
Es war die Stadt Dietrich Eckarts, des in der NS-Propaganda stets als "ersten Rufer und
Dichter der Bewegung" bezeichneten engen Weggefährten Adolf Hitlers, der den bekannten
Ausspruch "Deutschland erwache" prägte, der Hitlers Aufstieg entscheidend förderte und
seine Stilisierung als Führer in Anlehnung an den italienischen Diktator betrieb.
Auch als zentraler Ort für die Verteilung von Zigtausenden von Zwangsarbeiterinnen und –
arbeiter während des Zweiten Weltkriegs wurde Neumarkt ein Schauplatz der
menschenverachtenden Politik des NS-Regimes.
65 Jahre Demokratie und Frieden sollten uns nicht gleichgültig machen gegenüber den
Gefährdungen, die von einem leider noch vorhandenen antidemokratischen,
ausländerfeindlichen und inhumanen Denken ausgehen.
Daher sind wir alle aufgerufen, wachsam zu sein, damit in unserem Staat nie wieder
Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Toleranz mit Füßen getreten werden.
Mit diesem Buch halten wir die Erinnerung wach und wir weisen die Mechanismen dafür auf,
wie sich ein solches Gedankengut und die daraus entspringenden Handlungen in einer Stadt
wie Neumarkt abspielen.
Es soll und darf auch Mahnung sein.
In diesem Sinne wünsche ich dem Werk viele interessierte Leser!
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