"Kuh-Patent soll Bauern melken!"
Von Dr. Peter Hamel*
Was sich zunächst vielleicht etwas spaßig anhört, ist die größte Bedrohung der Milchbauern
seit der Bauernbefreiung im Mittelalter. Patente auf Kühe sollen dazu dienen, einen
unerschöpflichen Geldhahn sprudeln zu lassen, der bei jeder Geburt eines Kalbes immer
wieder von Neuem von den Landwirten Lizenzgebühr einfordert. Die Gentechnik-Konzerne
schrecken vor nichts zurück, um die Weltherrschaft über alle Nahrungsmittel zu erlangen.
Hier offenbart sich einmal mehr die dunkle Seite der Macht weniger Agro-Konzerne. In den
1970er Jahren erklärte Henry Kissinger "Wer das Öl kontrolliert, ist in der Lage, ganze
Nationen zu kontrollieren; wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen". Ein
ehemaliger Mitarbeiter von Monsanto (Kirk Azavedo) plaudert aus: "Monsanto will die
Weltherrschaft über alle Nahrungsmittel".
Im Januar 2007 erteilte das europäische Patentamt in München zwei Patente auf Kühe.
Eins davon auf eine Gentechnische Manipulation, das zweite auf eine Züchtungsmethode.
Und gerade hier liegt das große Gefahren-Potential für uns Milchbauern, denn der
Patentanspruch auf die Züchtungsmethode kann uns schon in wenigen Monaten erreichen.
Unsere Zucht- und Milchleistungskontrollverbände sind ebenso wie ich für einen guten
nachhaltigen Zuchtfortschritt. Gut, dass wir uns dazu immer mehr Hilfsmittel bedienen
können. So werden schon seit vielen Jahren in der Schweinezucht zur Verbesserung der
Stress-Stabilität Markergene als Selektions-Hilfsmittel eingesetzt. Dabei wurde nie etwas
gentechnisch verändert. Einzig und allein wurde durch genauere Hilfsmittel ein "sichtbar
machen" bestimmter Aminosäure-Platzierung möglich. Im Prinzip ist das nichts anderes, als
wenn mit Hilfe einer Lupe schneller und besser der kleine Holz-Splitter in der Hand gefunden
wird. Genau so können mit Hilfe molekularbiologischer Verfahren Genmarker gefunden
werden, die für bestimmte Zuchtmerkmale stehen. Folglich können die Zuchtmerkmale wie
z.B. hohe Milchleistung oder Stress-Stabilität schneller erkannt und darauf selektiert werden.
Folglich ist das Ganze nicht mehr und nicht weniger als eine biologische Lupe.
Doch worum geht es eigentlich beim Kuh-Patent
Nachfolgend eine Beschreibung des Patents auf Kühe, das das Europäische Patentamt (EPA)
in München (EP1330552) im Januar 2007 erteilt hat.
Ähnlich wie beim Schweine-Patent geht es um ein Gen, das Polymorphismen aufweist, also in
mehreren Varianten vorkommt. In diesem Fall das Gen für DGAT1, Diacylglycerin-
Acyltransferase, ein Enzym des Fettstoffwechsels.
Besonders eine Variante dieses Gens mit einer Mutation der 232. Aminosäure führt zu
erhöhter Milchleistung. Nun ist eine Reihe von Methoden patentiert, die diesen Sachverhalt
gezielt ausnutzen: z.B. die züchterische Selektion genau auf diese Mutation, Verwendung von
Antikörpern gegen das Genprodukt, Herstellung transgener Tiere mit dieser speziellen
Genvariante usw.
Durch unsere traditionelle Züchtung auf Milchleistung wurde natürlich auch indirekt auf diese
spezielle Variante von DGAT1 selektiert und wir haben bisher kein Patent verletzt. Werden
mit Hilfe molekularbiologischer Analysemethoden und/oder Gentechnik bei einem
Züchtungsschritt genau diejenigen Nachkommen selektiert, die diese Genvariante tragen,
müssen Bauern Patentgebühren entrichten. Dass das auch für die Folgegenerationen gilt, ist
aus Sicht der Patentinhaber klar, denn auch die Nachkommen würden von dem
Züchtungsschritt profitieren. Das Patent ermöglicht es also, eine Hochleistungsrasse z.B. mit
einer robusten Landrasse zu kreuzen und dabei die Nachkommen schon auf Milchleistung
selektieren zu können, bevor sie zu einer erwachsenen Kuh herangewachsen sind. Erfolgt
diese Züchtung traditionell und es erfolgt eine Selektion der Nachkommen auf Milchleistung
und damit zufällig auf DGAT1, verletzen sie keinerlei Patent.
Aber in unserer Zucht liegt diese Genvariante gehäuft vor, weil wir über viele Jahrzehnte auf
Milchleistung gezüchtet haben. Beim Schwein hat unter anderem Christoph Zimmer
herausgefunden, dass durch unsere Herdbuchzucht bereits über 50 Prozent der Schweine unter
Monsantos Schweine-Patent-Anspruch fallen würden.
Nach meiner Einschätzung dürfte die entsprechende Gensequenz beim Milchleistungsgen in
unseren Herdbuchzuchten ähnlich hoch liegen! Auch hier wären rasch hohe Lizenz-
Ansprüche erkennbar.
Betrachten wir die vielen Agro-Gen Patentstreitigkeiten in den USA und Canada so ist heute
dort die Beweislast umgedreht worden. Der Bauer muss nachweisen, dass er keine
molekularbiologischen Zuchtmethoden bzw. keine Gentechnik eingesetzt hat.
Übertragen auf das Kuh-Patent müssten wir das bei jeder Geburt eines Kalbes erbringen –
allein die Vorstellung ist sehr ernüchternd. Oder jedes Mal wenn wir die Lupe wieder
benutzen um den Holz-Splitter zu finden müssten wir Lizenzgebühren zahlen. So einfach lässt
sich in Zukunft Geld verdienen. Der Fall Percy Schmeiser sollte auch den gleichgültigsten
Landwirt wachrütteln, denn die Gefahr steht unmittelbar bevor, da schon das Patent erteilt ist.
Haben hier die Zuchtverbände etwas verschlafen? Erfreulicherweise hat unter anderen der
BDM Einspruch gegen das Patent eingelegt.
Die Forderung muss klar lauten:
Dieses Selektionsverfahren muss analog wie in der Schweinezucht bei der Stress-Stabilität
auch bei der Zucht auf Milchleistung beim Rind frei genutzt werden können. Denn
letztendlich sind die Grundlagenforschungen auf diesem Gebiet mit öffentlichen Geldern
(Steuergeldern von uns allen) finanziert worden. Und jetzt wollen die Konzerne die Bauern
mit den Kuh- und Schweine-Patenten melken.
Dazu fällt mir das Beispiel der Markergene bei Brustkrebs ein. Ein Hilfsmittel, das vielen
Frauen im Vorfeld Klarheit gibt, ob sie unbesorgt sein können, oder ob sie rechtzeitig und
regelmäßig Vorsorge treffen müssen. Dieser Test hat bis 2001 rund 1000 Euro gekostet. Im Jahr
2001 hat sich dieses Verfahren ein findiges US-amerikanisches Unternehmen patentieren
lassen, mit der Folge, dass der Test ab dann prompt rund 3000 Euro gekostet hat. Ohne
Zusatznutzen, ohne Gentechnik - einzig das Patent brachte dem Unternehmen dann viele
Millionen ein. Das Patentrecht macht es möglich.
Eigentlich viel zu kompliziert, um damit einen Politiker auf die Problematik aufmerksam zu
machen – oder nicht?
Hintergründe zum Patent auf Leben:
Es geht bei der ganzen Sache um zwei Dinge.
1. Die grundsätzliche Frage lautet:
Wem "gehören" die Zuchttiere und Pflanzen überhaupt und wer darf ihre Eigenschaften
vermarkten. Tiere mit welchen Merkmalen auch immer sind durch jahrhundertelange über
Generationen betriebene Selektion entstanden. Dank guter Organisation wurde dies bei vielen
Tieren und Pflanzen durch systematische Zucht betrieben. Die entstandenen genetischen
Varianten sind das Ergebnis der züchterischen, in erster Linie bäuerlichen Arbeit!
Darf ein Unternehmen genetische Sequenzen patentieren lassen, ohne dass es dafür eine
eigene geistige und kreative Leistung erbracht hat?
Ich habe selbst schon ein Patent und Gebrauchsmuster angemeldet und weiß, wie streng dies
geprüft wird. Das Selektieren einzelner in der Natur bereits vorhandener Genmuster auch von
natürlich vorkommenden Mutationen ist keine neue Erfindung und schon gar keine neue
Kreation. Das ist ein Bruch mit dem, was ein Patent bisher darstellte, und darf nicht genehmigt
werden!
2. In Patenten auf Leben sehe ich ein Einfallstor, ein Selbstbedienungsladen, in dem sich jeder,
der dreist genug ist, nehmen kann was er will. Auffällig ist, dass mögliche negative
Konsequenzen, die daraus entstehen können, von den Patentinhabern bzw. Antragstellern
kleingeredet und verharmlost werden. Ein Schelm der dabei Böses denkt.
Fatal wird es wenn man weiterdenkt! Durch die Lizenzgebühren erwirbt der Landwirt nur die
Erlaubnis, das Tier zu halten. Als Patentinhaber ist der Konzern Eigentümer des Tieres. Er
kann somit z.B. festlegen, dass die Tiere nur mit genverändertem Futter ernährt werden.
Somit bekommt der Verbraucher durch die Tierpatentierung unausweichlich die Gennahrung.
Jeder Verarbeiter, wie Molkerei oder Metzger unterliegt den Anordnungen des
Patentinhabers.
Wie nachhaltig uns Landwirte und Verbraucher die Patente beschränken ist kaum abzusehen
und das wird uns wohl auch kaum auf die Nase gebunden. Eins ist sicher: Dahinter steckt ein
zig Milliarden-Geschäft. Und das zeigt sich einmal mehr an der großen Flut von
Patentanträgen die bereits vorliegen. Und mit wem sollen die Geschäfte wohl gemacht
werden? Das Patentamt nickt gerne ab, denn es finanziert sich ja schließlich aus
Antragsgebühren und Patent-Erhaltungsgebühren.
Fragen wir uns: Wo führt das Ganze hin? Bei meinem Beispiel mit der Lupe erkenne ich
jedenfalls eine ganze Menge von kleinen Gegenständen, die ich mit der Lupe finden und
betrachten kann. Und jedes Mal könnte ich erneut ein Patent anmelden. Nicht anders verhält
es sich mit unserer biologischen Lupe. Bei der Vielzahl von Gensequenzen und der Vielzahl
lohnender Zuchtmerkmale ist der Markt für eine "Verpatentierung" verlockend. Wo bleibt die
schöpferische oder erfinderische Leistung? Bereits ein Erstsemestler in Mathematik, Physik
oder auch Agrarwissenschaft könnte ein statistisches Korrelationsprogramm über Sequenzen
und Merkmale durchlaufen lassen. Und er wird mit Sicherheit viele solcher Verbindungen
finden, die sich dann auch patentieren lassen könnten. Das ist vielleicht Fleiß, aber keinesfalls
eine Erfindung! Also kein Patent auf Leben.
Oder, ethisch gesehen findet jemand sicher bald die Sequenz für blaue Augen und blonde
Haare. Hatten wir das nicht schon mal. Also nochmals: Finger weg von Patenten auf Leben!
In einem riesigen, weltweit angelegten Gentechnik-Feldzug sollen die Rechte auf Pflanzen,
Tiere und Nahrungsmittel komplett in die Hände weniger Multi-Konzerne fallen, die dann
nach Belieben Abhängigkeiten ausspielen, die viel größer sind als heute beim Öl.
Ist etwas nicht sofort patentierbar, wird eben mal etwas gentechnisch manipuliert und das
Patent ist leicht machbar. Dabei geht es nicht wie uns vorgegaukelt wird um irgendwelche
vermeintlichen Verbesserungen. Nein, es geht einzig und allein um Patentierbarkeit und
Machtgewinnung über die gesamte Menschheit auf einem teuflischen Weg.
Jetzt ist es allerhöchste Zeit für uns Bauern aus der Gleichgültigkeit herauszukommen und
aktiv zu werden. Das Beispiel BDM hat es gezeigt: wenn wir gemeinsam an einem Strang
ziehen, werden wir gehört! Wir Bauern finden diese Entwicklung extrem beängstigend und
müssen uns wehren gegen Agro-Gentechnik und Patente auf Leben! Die guten Beispiele von
Christoph Zimmer aus Baden-Württemberg bei den Schweinen und Heiner Lohmann aus dem
Münsterland bei den Rindern zeigen, dass es doch noch Idealisten mit Zivilcourage unter uns
Landwirten gibt. Wann endlich begreifen das auch unsere Politiker?
*Dr. Peter Hamel ist Agrarwissenschaftler und Milchbauer in Storndorf/Hessen
03.01.08
Neumarkt: "Kuh-Patent soll Bauern melken!"